Normalerweise soll man während einer Filmvorstellung schweigen und sich meditativ ins Geschehen versenken. Doch es gibt auch Veranstaltungsformate, bei denen es um möglichst unterhaltsames Kommentieren von Filmen geht. Das „Nippon Connection“-Festival in Frankfurt pflegt diese Nische schon seit Jahren, jüngst mit einer Vorführung von „Gorath – Ufos zerstören die Erde“ von Inoshirô Honda.
„Du sollst nicht
reden während des Films!“, lautet eine ungeschriebene Maxime des Kinos. Wer eine
heilige Lichtspielhalle betritt, legt mit dem Lösen der Eintrittskarte
insgeheim ein Gelübde ab. Genauer gesagt, ein Schweigegelübde, denn während der
Filmvorführung sollte man dem Gezeigten durch meditatives Innehalten Respekt
zollen. Wenn jemand doch einmal in die Verlegenheit geraten und etwa durch eine
Unterhaltung mit dem Sitznachbarn Störgeräusche erzeugen sollte, wird der
Störenfried im mildesten Fall umgehend mit einem scharf entfleuchenden Atemstoß
aus dem Dunkeln reglementiert, inklusive eines angelegten Zeigefingers an den
gestülpten Lippen des Sittenwächters.
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Doch bestimmte Filmarten provozieren das Publikum geradezu, das Geschehen auf der Leinwand lautstark zu kommentieren. Um dennoch den zwischenmenschlichen Frieden im Kinosaal zu wahren, hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte eine eigene Unterart des kommentierten Filmeschauens entwickelt, deren vermeintlicher Ursprung im „Mystery Science Theater 3000“ des US-Komikers Joel Hodgson liegt. Nur als schwarze Silhouette vor einer Leinwand sitzend, mit zwei redefreudigen Robotern an seiner Seite, meisterte Hodgson zwischen 1988 und 1999 in insgesamt 217 Episoden den Spagat zwischen der nischigen Vorliebe für (mehr oder weniger freiwillig) lustige B-Movies und dem satirischen Einflechten von markigen bis obskuren Live-Kommentaren. Nach diesem Vorbild entwickelten sich auch in Deutschland kleine Fernsehprojekte, die mit diesem „Unterhalten während eines Filmes“-Verbots brechen wollten.
Davon ließ sich beispielsweise die „Late Lounge“ im Hessischen Fernsehen inspirieren, ein niedrigbudgetiertes Programm aus dem sendereigenen Kellerstudio, bei dem der stets adrette Gastgeber Roberto Cappelluti und Dauergast Michael „Michi“ Herl ihr Publikum (aus brandschutztechnischen Gründen bestand es nur aus 15 Personen) mit allerlei Kurzweiligem bespaßten. Neben der Ausstrahlung von Serien wie „Raumpatrouille Orion“ oder „The Munsters“ kamen Zuschauer zwischen 1999 und 2004 jeden ersten Freitag im Monat in den Genuss des „Late Lounge Heimkino“, augenzwinkernd auch „Betreutes Fernsehen“ genannt, bei dem Cappelluti mit wechselnden Gästen trashige Spielfilme nach dem Vorbild von Joel Hodgson zeigte.
Nach der Einstellung der „Late Lounge“ im Jahr 2006 saß das deutsche Nischenpublikum lange Zeit auf dem Trockenen, bis der Privatsender TELE5 ab 2013 die Durststrecke mit der Eigenproduktion „SchleFaZ – Die schlechtesten Filme aller Zeiten“ beendete. Seit nunmehr 124 Folgen in neun Staffel präsentieren die beiden Moderatoren Oliver Kalkofe und Peter Rütten vierteljährlich einen frischen Schwung (nicht)sehenswerter Filmkunst aus aller Welt, inklusive eines formateigenen Trinkspiels zur Zungenlockerung vorab.
Late Lounge goes Nippon
Roberto Cappelluti blieb nach dem Ende von „Late Lounge“ auch nicht untätig; 2009 ergab sich die Gelegenheit, im Rahmen des japanischen Filmfestivals „Nippon Connection“ eine „Heimkino Reloaded“-Ausgabe zu präsentieren. Zusammen mit Jörg Buttgereit kamen die Festivalbesucher so erstmals in den Genuss eines kommentierten japanischen B-Movies live im Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt, garniert mit Billig-Chips und lauwarmem Bier. Seit 2012 begleitet das in „Nippon Heimkino“ umgetaufte Nischenprogramm das Festival und sorgt durch wechselnde Gastgeber mit fachlicher Expertise und Leidenschaft für den fantastischen Film für Abwechslung.
Da war auch in der mittlerweile neunten Ausgabe im Juni 2021 der Fall, bei der sich Jörg Buttgereit wie schon im Jahr davor mit dem Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger zusammentat. Per Videokonferenz zelebrierten die beiden Gastgeber zusammen mit über 60 begeisterten Chat-Teilnehmern das japanische Tokusatsu-Werk „Gorath – Ufos zerstören die Erde“ von Inoshirô Honda - von den gewaltigen Spielzeugmodellstädten über die historische Einordnung der nationalistischen Darstellung Japans bis zum sehnsüchtig erwarteten Auftritt von Magma, einer Gummihandpuppe in Form eines riesigen Walrosses. Am Ende war man sich einig: Zum zehnten Jubiläum 2022 muss es wieder ein „Nippon Heimkino“ geben – dann hoffentlich wieder im vertrauten Mousonturm, mit einem großen Haufen begeistert schwatzender Filmfans auf eine Runde Chips und lauwarmes Bier.