2015
erregte der ungarische Regisseur László Nemes Aufsehen mit seinem vielfach
ausgezeichneten Spielfilmdebüt „Son of Saul“. Anders als das schonungslose
Holocaust-Drama ist sein neuer Film „Sunset“ vordergründig eine leichter
rezipierbare historische Frauen- und Detektivgeschichte, handelt aber ebenso
von Abgründen der Geschichte und ist formal vergleichbar ambitioniert. Ein
Gespräch über die Herausforderungen des Publikums und die Emanzipation der
Ohren.
„Sunset“ besitzt
eine ambitionierte Struktur als doppelte Detektivgeschichte. Die Protagonistin Irisz
kommt 1913 als Fremde mit Familiengeschichte nach Budapest zurück und wird für
Verbrechen ihres Bruders stigmatisiert, von dessen Existenz sie bislang nichts wusste.
Sie beginnt, seinen Spuren nachzuforschen. Der Film ist ihr dabei so nahe auf
den Fersen, dass auch die Zuschauer (wie Irisz selbst) versuchen müssen, Spuren
zu lesen. Man ist immer versucht, zu glauben, dass man gerade eine zentrale
Information verpasst, nur weil sie beiläufig und im Bildhintergrund verhandelt
wird. Das ist ziemlich spannend. Manche glauben, dass die Eltern von Irisz
vielleicht Opfer eines Pogroms geworden sind.