Andreas Dresen hat dem ostdeutschen Liedermacher Gerhard Gundermann mit seiner Filmbiografie „Gundermann“ auf bestechende Weise die Reverenz erwiesen. Als nicht weniger fulminant empfindet Karsten Essen das zum Film erschienene Album, mit dem sich Hauptdarsteller Alexander Scheer anschickt, Gundermanns Liedern eine Renaissance zu bescheren.
Ohne Authentizität, Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit ist alles nichts. Das gilt fürs Schreiben, für die Musik und – paradoxerweise – auch für die Schauspielerei. Nur damit kann es einer Darstellerin oder einem Darsteller bei entsprechendem Talent gelingen, jede beliebige Rolle überzeugend zu verkörpern, auch einen versponnenen Verseschmied oder sogar einen urwüchsigen Musikanten. Eine riskante künstlerische Gratwanderung ist es allerdings auf jeden Fall, wenn ein Schauspieler den Musiker nicht nur spielt (wie in so vielen biografische Filmen), sondern darüber hinaus auch den Versuch unternimmt, die Lieder aus dem Geist biografischer und historischer Treue kongenial neu zu erschaffen. Dieses Unterfangen ästhetisch völlig überzeugend gemeistert zu haben, ist das große Verdienst dieses außerordentlichen Albums – und insbesondere dasjenige von Alexander Scheer.
Gerhard Gundermann (1955-1998) war lange Jahre ein nahezu ausschließlich ostdeutsches Phänomen, wurde geliebt, gehasst, verehrt, verachtet und mit immer schrägen Vergleichen bedacht („der Bruce Springsteen der DDR“, „der ostdeutsche Bob Dylan“). Im Westen fielen er und seine eigenwillige Kunst bislang durchs Raster des musikalischen Mainstreams. Es ist zu hoffen, dass sich dies durch die starke Anwaltschaft von Andreas Dresens Film „Gundermann“ und dem „Musik zum Film“-Album zumindest ein wenig ändert – verdient wäre es. Denn eines ist klar: Gundermann ist eine zutiefst deutsche Gestalt – manches Mal von lutherischer Ehrlichkeit, ja einer derben Grobheit im Ausdruck, aber auch ebenso üppig begabt zur sprachlichen Neuschöpfung; liebeslyrisch zart und spitzzüngig politisch wie Heine – ein poetischer Linker; dann wieder in seiner mitunter absonderlichen Weltwahrnehmung und künstlerischen Selbstgenügsamkeit (Text und Musik aus einer Hand) von Wagner’scher Eigenwilligkeit.
Alexander Scheer gelingt es beinahe gruselig gut, den jungenhaften, sympathischen, auch querköpfigen, auf dieser Welt keine bleibende Heimstatt findenden Menschen Gundermann zu verkörpern. Auf dem Album liefert er den Beweis, dass er sich auch das Empfinden und Hervorbringen des Poeten und Musikanten aneignen konnte. Obwohl es sich um Liveaufnahmen handelt (nahezu das gesamte Programm wurde in einer Session mitgeschnitten), ist das Album klanglich und technisch sehr gut abgemischt – Scheers Stimme transportiert glaubwürdig und anrührend die spezifische gebrochene Atmosphäre, die in jener Wendezeit geherrscht haben mag, als Gerhard Gundermann komponierte – aufbegehrend und melancholisch, rau und zart zugleich, herbstlich oft.
Die ausgewählten Lieder (man mag nicht „Songs“ dazu sagen) repräsentieren dabei fast so etwas wie eine Typologie des Gundermann’schen Œuvres. Sie sind intim, schmerzlich („Brunhilde“; „Weißtunoch“) – und utopisch-gesellschaftskritisch („Keine Zeit mehr“), schlicht („Hochzeitslied“) – und von herausfordernd großer Metaphorik („Ich mache meinen Frieden“), klassisch („Vater“) – und (n)ostalgisch („Brigitta“; „Hier bin ich geboren“).
Die teils poetisch-kühnen, teils trotzig auftrumpfenden Sprachbilder, mit denen sich der Künstler Gundermann manchmal umstellt und die ihn bewusst in der selbst gewählten Rolle des Märtyrers zeigen (etwa „So fülle meinen Becher / Ich trink ihn bis zur Neige / Nun gib mir schon mein Kreuz / Oder eine Geige“) entfalten ihre Wirkung allerdings tatsächlich besser, wenn man von seinem (politischen) Leben und seinem „Erdenrest“ keine zu genaue Kenntnis hat – Kunst, die über ihre Entstehungsbedingungen hinausweist…
Die Aufnahmetechnik unterstützt Alexander Scheer,
der ja kein professioneller Sänger ist, nach Kräften und baut ihm und seiner
Stimme die nötige Klangbühne, sodass er stets direkt präsent ist. Dennoch
erhalten auch die übrigen Bandmitglieder Gelegenheit zum Exzellieren,
insbesondere Gunnar Ennen (E-Gitarren-Solo!) und, als Gast, Andy Wieczorek
(Saxofon-Solo!). Die Ausstattung ist trotz Pappbox reichhaltig, das üppige
Beiheft mit allen Texten und Angaben zusätzlich ein kleines Daumenkino der
eindrücklichsten Momentaufnahmen aus Dresens Film. Nur über den vielleicht allzu
komödiantischen Kehraus-Charakter der letzten beiden Stücke kann man geteilter
Meinung sein.
Alles in allem ist „Gundermann – Die Musik zum Film“ ein starker Anwärter für das deutschsprachige Album des Jahres!
Diskografischer Hinweis
Gundermann – Die Musik zum Film. Alexander Scheer und Band. BuschFunk 2018. Bezugsquelle: unter anderem bei Amazon.
Fotos: Pandora