Eine Gruppe Jugendlicher vor den Problemen des Alltags. Bei allem Ernst mit feinem Sinn für ironische und absurde Zuspitzungen inszeniert. Eine tragisch-brutale Dimension erhält der Film dadurch, daß eine der Figuren jeden Halt verliert und zum Mörder wird. Geschickt werden Verbindungen geknüpft, die in ihrer schnellen Abfolge eine Atmosphäre der Ruhelosigkeit erzeugen. So gelungen die Balance heterogener Momente im Film ist, so gezwungen wirkt jedoch das Ende. (Auch O.m.U.)
Liebe und andere Grausamkeiten
Krimi | Kanada 1993 | 100 Minuten
Regie: Denys Arcand
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Filmdaten
- Originaltitel
- LOVE AND HUMAN REMAINS
- Produktionsland
- Kanada
- Produktionsjahr
- 1993
- Produktionsfirma
- Max Films/Atlantis
- Regie
- Denys Arcand
- Buch
- Brad Fraser
- Kamera
- Paul Sarossy
- Musik
- John McCarthy
- Schnitt
- Alain Baril
- Darsteller
- Thomas Gibson (David) · Ruth Marshall (Candy) · Cameron Bancroft (Bernie) · Rick Roberts (Robert) · Joanne Vannicola (Jerri)
- Länge
- 100 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; f
- Genre
- Krimi | Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Was andere Filme meist nur in der Exposition zur schnellen Einführung der Figuren oder zur dramatischen Steigerung einsetzten, durchzieht Denys Arcands "Liebe und andere Grausamkeiten" fast ohne Tempoverlust von der ersten bis zur letzten Minute. Stetige Sprünge von einem Schauplatz zum anderen, unvermittelte Konfrontationen der verschiedenen Protagonisten verleihen dem Film eine Atmosphäre der Atemlosigkeit, in der eine Orientierung nicht ganz leicht fällt. Und damit ist man schon ziemlich nah am Thema von Arcands erstem Film seit "Jesus von Montreal" (fd 28 106).Das Drehbuch basiert auf einem Theaterstück, das schon vor dem Durchbruch der "Generation X"-Filme das Leben junger Menschen beschrieb, deren Alltag von Medien- und Selbstinszenierungen geprägt ist: Wirklichkeit und "Virtual Reality" liegen bedenklich nah beieinander, die fürs psychologische Überleben nötige Selbstironie ist schon weitgehend blankem Zynismus gewichen. Das beste Beispiel dafür ist David, der in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist, nachdem die Karriere als Schauspieler im Sande verlief. Nun arbeitet er als Kellner und verdingt sich nebenbei als besserer Strichjunge. Die Wohnung teilt er mit der Literaturkritikerin Candy, mit der ihn außerdem eine frühere Liebelei verbindet. Inzwischen wurden die Grenzen aber klar abgesteckt: während Candy weiterhin nach der großen Liebe sucht, gibt sich David keiner Illusion mehr hin und lebt (und liebt) nur noch von einem Tag zum anderen. Noch hoffnungsloser ist das Leben für Davids Freund Bernie, den sein Job anödet und der damit prahlt, er treibe es ständig mit einem anderen Mädchen, obwohl er ganz offensichtlich darunter leidet.In heftige Bewegung wird diese Konstellation durch ein weiteres Trio versetzt: Jerri, eine junge Lehrerin, lernt Candy in einem Fitness-Studio kennen und verliebt sich in sie. Beide verbringen eine Nacht zusammen, doch Candy - die eher die Neugierde treibt - zieht sich sofort wieder auf sicheren Boden zurück. Zur gleichen Zeit wird sie nämlich auch von dem Barkeeper Robert umworben - und in ihrer Sehnsucht nach Geborgenheit läßt sie sich mit ihm auf ein Verhältnis ein. Davids Gefühlswelt wiederum wird von Kane, einem Jungen aus betuchtem Hause, aufgewirbelt. Kane weiß von seinen früheren Filmauftritten und schaut zu David auf. Doch die ihm so entgegengebrachte Aufmerksamkeit erinnert David nur an sein früheres Scheitern und entsprechend grob ist seine Reaktion.Denys Arcand gelingen in seiner bisher wohl publikumswirksamsten Produktion gleich zwei Kunststücke. Die Montage der verschiedenen Handlungsstränge schafft - abgesehen von bewußt gesetzten schockartigen Übergängen und trotz der ständigen Figuren- und Ortswechsel - eine natürlich fließende Bewegung. Und anders als in den meisten "Generation X"-Filmen nimmt man in "Liebe und andere Grausamkeiten" auch das Hintergrundrauschen einer verwirrenden, brutalen Welt wahr. Gewalt wird nicht nur über immer wieder eingestreute Fernsehbilder oder Videospiele präsent, sondern ist von Beginn an Bestandteil des Films, wenngleich Arcand sie nur an wenigen Stellen, da aber überraschend kraß, einsetzt. Im Hintergrund der Beziehungsgeschichten sind nämlich die Greueltaten eines Frauenmörders plaziert, die man schon bald keinem anonymen Täter, sondern Davids Freund Hernie zuschreiben muß, den es immer weiter in Isolation und Abstumpfung getrieben hat. Damit erfährt das Geschehen, das in der zweiten Hälfte durch gelungene komödiantische Verwicklungen und Dialoge noch einmal an Verve gewinnt (und wo Bernie vorübergend aus dem Blick gerät), einen geradezu unpassend-irrealen Ernst.Arcand mutet seinem Film sehr viele heterogene Elemente zu. Dazu gehören auch einige groteske Situationen bei einer Freundin Davids, die ihre Kunden sadomasochistisch "bedient", und die jedem David-Lynch-Film gut zu Gesicht stünde. Doch auch wenn das eine oder andere mitunter auf den gesuchten Effekt, hinzuweisen scheint, so ist doch auch nicht abzustreiten, daß der Film schlicht Erscheinungen der Gegenwart abbildet. Und um deren Widersprüchlichkeit zu spiegeln, kann wohl kein Film heterogen genug sein. Um so bedauerlicher ist aber, daß Arcand im letzen Moment ein Ende herbeizwingt, das man sich in seiner Trivialität nach den anderthalb Stunden vorher schwerlich erklären kann, zumal eine ironische Absicht darin nicht unbedingt zu erkennen ist.
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