Drama | Belgien/Frankreich/Schweden 2024 | 104 Minuten

Regie: Leonardo Van Dijl

Das Leben einer Teenagerin, die zu den vielversprechendsten Schülerinnen einer Tennisakademie zählt, gerät nach dem Selbstmord einer Mitschülerin aus den Fugen. Doch während ihr Umfeld den Fall des allzu fordernd auftretenden Trainers aufzuarbeiten versucht, verweigert sich das Mädchen beharrlich, sich mit der eigenen Ausbeutung auseinanderzusetzen. Der formal strenge Film umkreist den Fall nur mit Andeutungen und lenkt den Blick auf entfesselten Ehrgeiz und stille Komplizenschaft. Ein handwerklich souverän inszenierter Film mit einigen Momenten leiser Intensität, der erzählerisch jedoch ein wenig vorhersehbar gerät und sich zu sehr auf sein nicht durchweg tragfähiges Konzept einer beharrlich schweigenden Protagonistin verlässt. - Ab 16.
Zur Filmkritik Im Kino sehen

Filmdaten

Originaltitel
JULIE ZWIJGT
Produktionsland
Belgien/Frankreich/Schweden
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
De Wereldvrede/Les Films du Fleuve/Hobab/Film i Väst/Blue Morning Pict.
Regie
Leonardo Van Dijl
Buch
Ruth Becquart · Leonardo Van Dijl
Kamera
Nicolas Karakatsanis
Musik
Caroline Shaw
Schnitt
Bert Jacobs
Darsteller
Tessa Van den Broeck (Julie) · Grace Biot (Laure) · Alyssa Lorette (Inès) · Noah Lecloux (Noah) · Pierre Gervais (Backie)
Länge
104 Minuten
Kinostart
24.04.2025
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Sportfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Eine talentierte Tennisschülerin weigert sich nach dem Selbstmord einer Mitschülerin, sich mit der eigenen Ausbeutung durch ihren Trainer auseinanderzusetzen.

Aktualisiert am
23.04.2025 - 13:04:29
Diskussion

Julie (Tessa Van den Broeck) ist ständig unter Menschen und doch für sich allein. Die Teenagerin besucht eine belgische Tennisakademie, wo sie zu den vielversprechendsten Talenten zählt. Regisseur Leonardo van Dijl zeigt die Protagonistin immer wieder beim Training, wo sie mit eiserner Disziplin bis zur Erschöpfung monotone Übungen wiederholt. Eine Welt außerhalb des Sports scheint es für das Mädchen nicht zu geben. Sobald Mitschüler sie zu Freizeitaktivitäten überreden wollen, klinkt Julie sich konsequent aus.

„Julie bleibt still“ vermittelt von Anfang an, dass mit der jungen Sportlerin etwas nicht stimmt. Wenn sie sich in einer Gruppe bewegt, lässt die Kamera ihr Umfeld meist im Unscharfen. Die Aufmerksamkeit wird so automatisch auf Julies nur vermeintlich ausdrucksloses Gesicht gelenkt. Ernst und nachdenklich wirkt sie, so als würde etwas in ihrem Inneren rumoren.

Sie versichert, dass alles in Ordnung sei

Die Ursache dafür enthüllt der Film erst allmählich. Nachdem sich eine Schülerin das Leben genommen hat, wurde Julies Tennistrainer Jérémy (Laurent Caron) suspendiert. Man tuschelt über zu großen Leistungsdruck; vielleicht war auch Missbrauch im Spiel. Obwohl Lehrer, Psychologen und Eltern der Sache auf den Grund gehen wollen, versichert Julie immer wieder, dass alles in Ordnung sei.

Diese Behauptung widerlegt der Film mit Jérémys ständigen Anrufen. Dabei coacht er vorgeblich Julie, überschreitet mit seiner manipulativen, übergriffigen Art aber eindeutig eine Grenze. Statt auszubreiten, was genau der Trainer sich zuschulden kommen ließ, bleibt es meist bei Andeutungen: „Als du gesagt hast, ich soll aufhören, habe ich auch aufgehört.“

Die Entscheidung, die Protagonistin nie offen über ihre Erfahrungen sprechen zu lassen, gerät manchmal frustrierend, führt aber auch zu Momenten leiser Intensität. Tessa Van den Broeck verleiht ihrer Figur eine vor Entschlossenheit verhärtete Miene, in die sich immer wieder auch Unsicherheit und Überforderung schleichen. Gerade in solchen zerbrechlichen Augenblicken ist die zurückgenommene Darbietung der Hauptdarstellerin bemerkenswert. Stur weigert sich Julie, über ihre Erlebnisse zu sprechen, und wird schließlich doch von der traumatischen Beziehung zu ihrem Trainer eingeholt.

Eine eigene Stimme finden

Hinter der Oberfläche der formal strengen, oft von starren Einstellungen bestimmten Inszenierung zeichnet sich behutsam eine Entwicklung der Protagonistin ab. Auf die Komplizenschaft mit Jérémy folgt vehemente Verdrängung und schließlich die schmerzhafte Erkenntnis, dass Julie sich ihren Gefühlen stellen muss. Der Film verharrt bei diesem Verarbeitungsprozess, ohne seinen Ausgang zu zeigen. Der minimalistisch-lautmalerischer Gesang im Soundtrack von Carolina Shaw ergänzt mit seinen tastenden, langsam anschwellenden Klängen den Versuch der Protagonistin, ihre eigene Stimme zu finden.

Indem Julie oft handlungsunfähig bleibt, lenkt der Film mit scheinbar beiläufigen Alltagsbeobachtungen den Blick auf das ausbeuterische System des Leistungssports. Der Ehrgeiz der Kinder, die Erwartungen der Eltern, der Druck der Trainer und das Schweigen der Lehrer führen unweigerlich in einen Teufelskreis. Die erzählerischen Manöver der Inszenierung wirken dabei bisweilen etwas vorhersehbar. In einer lustigen, wenn auch etwas überdeutlichen Szene stellt der Film Julies psychischer Belastung ein romantisch verklärtes Bild der Leibesertüchtigung gegenüber. Für eine Deutschstunde muss das Mädchen mit Mitschülern einen unsinnigen Dialog aufführen, der betont, wie gesund und befreiend Sport doch sei: „Ich fühle mich wie ein Vogel in der blauen Luft.“

Eine beharrlich schweigende Heldin

„Julie bleibt still“ ist handwerklich souverän umgesetzt, dreht sich durch seine wiederholte Erzählverweigerung aber auch ein wenig im Kreis. Das Konzept der beharrlich schweigenden Heldin ist interessant, nutzt sich nach einer Weile aber auch ab. Etwas selbstgenügsam wirken die Szenen, in denen die Sprechblockade der Protagonistin das einzige Ereignis im Bild bleibt. „Julie bleibt still“ verlässt sich etwas zu blauäugig auf die nur bedingte Aussagekraft solcher repetitiven Momente.

Durch die Figur des neuen Trainers Backie (Pierre Gervais) wird dem Problem der Protagonistin auch gleich eine Lösung entgegengesetzt. Eine Schülerin äußert zunächst ihr Missfallen darüber, plötzlich von jemandem unterrichtet zu werden, der nur den halben Stundenlohn berechnet. Letztlich ist es aber der unscheinbare Ersatztrainer, der den richtigen Umgang mit den Kindern findet. Er stachelt den Ehrgeiz der Schüler an, gibt ihnen aber auch Zeit, wenn es zu viel wird. Und er geht auf sie ein, wenn sie sich unwohl fühlen; zugleich bleibt er selbst ebenfalls lernfähig. Der idealisierte Lehrer ist es dann auch, der Julie dazu bringt, nicht mehr nur Befehle umzusetzen, sondern ihr eigenes Lerntempo zu bestimmen.

Kommentar verfassen

Kommentieren