Prinzessin Europa

Dokumentarfilm | Frankreich 2020 | 114 Minuten

Regie: Camille Lotteau

Im Jahr 2019 tourte der französische Schriftsteller und Philosoph Bernard-Henri Lévy mit seinem Ein-Personen-Stück „Looking for Europe“ durch Europa und nach New York. Darin geht es um die Entzauberung der Populisten und die Rettung der europäischen Idee. Der dokumentarische Filmessay vermittelt neben einem kurzweiligen Porträt des umstrittenen Intellektuellen eine vielschichtige Zustandsbeschreibung des europäischen Projekts. Bisweilen verliert sich der Film etwas selbstverliebt in der Metaebene, überzeugt aber durch die kontroversen Begegnungen mit Politikern und die Gespräche mit einfachen Bürgern. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PRINCESSE EUROPE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Margo Cinéma/France 3 Cinéma/Arte France Cinéma
Regie
Camille Lotteau
Buch
Camille Lotteau
Kamera
Olivier Jacquin · Camille Lotteau
Schnitt
Camille Lotteau
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Dokumentarisches Essay für den französischen Intellektuellen Bernard-Henri Lévy und seine „Prinzessin Europa“-Tournee aus dem Jahr 2019.

Diskussion

Manche Filme kommen genau zur rechten Zeit, obwohl sie eigentlich zu spät sind. Der verspielte Bewegtbild-Essay „Prinzessin Europa“ des französischen Regisseurs Camille Lotteau ist so ein Fall. Lotteau begleitete im Jahr 2019 den Philosophen Bernard-Henri Lévy auf eine Theatertournee durch Europa und nach New York. In diesem Jahr fanden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Lévys Ein-Mann-Stück „Looking for Europe“ über das belagerte Sarajevo in den 1990er-Jahren, bei dem der stets im eleganten Anzug auftretende Lévy sich selbst spielt, wurde auch in Nicht-EU-Ländern aufgeführt – neben Kyiv natürlich auch in Sarajevo, dem „Symbol einer großen Niederlage Europas“.

„BHL“, wie man den öffentlichkeitswirksamen Publizisten in Frankreich nennt, wird dort je nach Zuneigung als großer Intellektueller gefeiert oder als Philosophendarsteller geschmäht. Seine an sich selbst gestellte Aufgabe klingt höchst anspruchsvoll: die Rettung der europäischen Idee und die Entzauberung der Populisten. Was zunächst wie eitles Gehabe erscheint, nötigt bei genauerer Betrachtung Respekt ab. Lévy scheut sich nicht, die von ihm Kritisierten wie den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán oder den damaligen tschechischen Regierungschef Andrej Babiš in Gesprächen direkt zu konfrontieren. Auch einer Diskussion mit Putins Hausphilosophen Alexander Dugin in Budapest geht er nicht aus dem Weg.

Ein Film und zwei große Egos

Der Film folgt Lévy in einigem Abstand auf Premierenpartys oder zu Gesprächen mit Bürgern und Honoratioren. Ab und zu unterhalten sich Lévy und Lotteau auch direkt. Lotteaus Kommentare setzen dabei immer wieder Akzente. Die Behandlung der Migranten an den EU-Außengrenzen und ihren tausendfachen Tod im Mittelmeer verschränkt er mit Anspielungen auf die griechische Antike. Naheliegenderweise konzentriert der Film sich auf die Figur der mythischen Europa, die der zum Stier verwandelte Zeus auf seinem Rücken entführte.

Doch so verständlich das Bemühen um Distanz zum omnipräsenten Bernard-Henri Lévy auch erscheint, verkommen die Betrachtungen aus dem Off doch allzu oft zum selbstverliebten Geschwätz auf der Metaebene. Auch auf manchen schalen Witz hätte Lotteau besser verzichtet. Manchmal wünscht man sich sogar, dass der Regisseur ganz auf einen eigenen Kommentar verzichtet und stattdessen lieber einen rein beobachtenden Dokumentarfilm gedreht hätte. Denn „Prinzessin Europa“ ist ein bisschen zu klein für zwei große Egos.

Andererseits erscheinen Vergleiche zwischen Wolodymr Selenskyj und dem verstorbenen französischen Komiker Coluche durchaus originell. Denn der 2019 geführte Präsidentschaftswahlkampf in der Ukraine nimmt in dem Film einen wichtigen Platz ein. Drei Jahre vor dem russischen Angriff forderte der Schauspieler Selenskyj den steifen Amtsinhaber Poroschenko heraus. Hier beeindruckt Lévys zugewandte und auch furchtlose Art. Er benannte die von Russland ausgehenden Gefahren schon zu einer Zeit, als man in Deutschland noch vor allem an günstiges Gas dachte. Sätze wie „Der schlimmste Feind ist die Ermüdung“ scheinen allzu gut in die heutige Situation zu passen.

Die Strahlkraft von „Europa“

An anderen Stellen beeindruckt vor allem Bernard-Henri Lévys politisches Gedächtnis. Viktor Orbán traf er schon einmal Ende der 1980er-Jahre, als dieser noch ein Liberaler gewesen sei, was Orbán aber von sich weist. Ansonsten sind es die kleinen Betrachtungen und Begegnungen, die „Prinzessin Europa“ hochinteressant machen. Etwa mit einer alten Frau aus Transkarpatien, die schon in zahlreichen Ländern gelebt hat, ohne je aus ihrer Region weggezogen zu sein. Oder die enthusiastischen Schilderungen einer jungen Georgierin, die Berlin als das Mekka Europas bezeichnet – auch wenn es sich für Lotteau vor Ort dann ganz anders anfühlt.

In Zeiten der allgemeinen Ermüdung sollte man ohnehin nicht unterschätzen, welche Strahlkraft der Begriff Europa noch immer hat – vor allem bei jenen, die von außen zuschauen müssen.

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