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Nachlese Berlinale 2024

Eine Nachlese zur Berlinale 2024 – Alle Texte, Filme und Highlights, die auf filmdienst.de dazu erschienen sind

Veröffentlicht am
07. März 2024
Diskussion

Die Berlinale soll die Fähigkeit der Gesellschaft stärken, über Konflikte und verdrängte Themen zu sprechen. Das hat die scheidende Co-Chefin Mariette Rissenbeek dem Festival zum Abschied mit auf den Weg gegeben. Viele Filme aus allen Sektionen sind dafür wie gemacht. Ein Rückblick auf zehn Tage Festival mit den wichtigsten Themen und Filmen.


Im Unterschied zu den Bildern des täglichen Gebrauchs, die man mit einem Finger beiseite wischt, brennen sich manche Szenen und Momente im Kino viel tiefer ins Gedächtnis ein. In einer kurzen Notiz hat der scheidende Berlinale-Chef Carlo Chatrian über diese Beständigkeit wichtiger Bilder nachgedacht, die sich manchmal aus verständlichen Gründen im Kopf einnisten, manchmal aber auch aus rätselhaften, schwer zu ergründenden Motiven. Das sind dann „Bilder wie Bäume, die dem Sturm trotzen“. Diese Filmbilder, so Chatrian, begleiten uns weiter, sie werden zum Bestandteil des aktiven Gedächtnisses, zu Zeichen, „die uns die Vergangenheit bescheinigen und die Zukunft erahnen lassen“.

Auf einem Festival wie der Berlinale stößt man zwangsläufig auf viele Filme, die sich nicht einfach wieder beiseiteschieben lassen. Einige von ihnen haben wir frisch vom Roten Teppich weg rezensiert, bei anderen sind es kurze Notizen, Gedanken und Eindrücke, die auf eine spätere Vertiefung warten. Eine (ständig ergänzte) Übersicht über aktuelle Berlinale-Texte auf filmdienst.de.


Rückblicke auf die Berlinale - Die wichtigsten Filme


Shahid

Die in Deutschland lebende Filmemacherin Narges Shahid Kalhor möchte den mittleren Teil ihres Namens tilgen lassen. Ein Filmhybrid zwischen Autobiografie und Autofiktion, Dokumentation und Performance.


Dahomey

Der Gewinner des "Goldenen Bären". Ein Dokumentarfilm über die Rückgabe von 26 afrikanischen Statuen aus dem alten Königreich Dahomey ins heutige Benin, wo ihre „Restitution“ kontrovers diskutiert wird.

"Goldener Bär" für "Dahomey" von Mati Diop (Berlinale)
"Goldener Bär" für "Dahomey" von Mati Diop (© Berlinale)

Holy Week

Ein jüdischer Wirt wird 1889 im dörflichen Rumänien so lange Zielscheibe von Antisemitismus, bis er sich in einen fatalen Verfolgungswahn hineinsteigert.


The Empire

In einem kleinen Fischerdorf in Nordfrankreich braut sich der Weltuntergang zusammen. Hier leben die Abgesandten zweier intergalaktischer Fraktionen, die um das Schicksal der Menschheit kämpfen. Eine absurde Komödie, die das Sakrale und das Profane zu einer provinziellen Space-Opera verknüpft.


My New Friends

Eine verwitwete Polizistin freundet sich mit einer jungen Familie von Gegenüber an, erfährt dann aber, dass der Mann ein radikaler Polizeigegner ist, der unter Hausarrest steht. Mit lebensnahen Figuren erzählt das Drama, wie das menschliche Bedürfnis nach Nähe ideologische Gräben überwinden kann.


Ellbogen

Eine junge türkisch-stämmige Berlinerin leidet unter ihrem strengen Elternhaus, wird in ein Verbrechen verwickelt und flieht nach Istanbul. Die Adaption des gleichnamigen Romans von Fatma Aydemir schildert einige Wochen im Leben einer zerrissenen Heldin, die zwischen Heimatlosigkeit, Ambitionen und persönlicher Schuld hin und her schwankt.


Who By Fire

Drei Jugendliche und zwei Erwachsene verbringen einige Tage in einer Blockhütte in den kanadischen Wäldern. Während dieser Zeit entladen sich untergründige Spannungen. Das Jugenddrama handelt von Zurückweisung, Scham und Demütigung und wirft mitunter einen mitleidslosen Blick auf verletzte Männlichkeit.


A Different Man

Ein durch Neurofibromatose entstellter Schauspieler erhält durch eine experimentelle Wunderheilung ein von den Wucherungen der Erbkrankheit befreites Gesicht. Das „normale“ Leben, das ihm nun offensteht, offenbart all das, was mit deformiertem Gesicht nicht möglich schien. Doch auch die neue Existenz ist mit Defiziten und Abgründen verbunden.


Der unsichtbare Zoo

Über mehrere Jahre hinweg hat der Dokumentarist Romuald Karmakar den Zoo in Zürich mit der Kamera besucht und Tiere, Pfleger und Besucher beobachtet, aber auch das Wetter und was es dort sonst noch alles zu entdecken gibt. Dabei schauen nicht nur die Menschen auf die Tiere.


"Der unsichtbare Zoo" von Romulad Karmakar (Pantera Film)
"Der unsichtbare Zoo" von Romulad Karmakar (© Pantera Film)

The Outrun

Nach exzessiven Jahren im London flieht eine alkoholsüchtige junge Frau zurück in ihre schottische Heimat, um schwierige Verhältnisse hinter sich zu lassen. Doch auch zuhause ist nichts gut. Dennoch sucht sie in dem aufgewühlten Drama von Nora Fingscheidt in der rauen Schönheit der Orkney-Insel nach Heilung


Ihre ergebenste Fräulein

Die Botanikerin und Pädagogin Catharina Helena Dörrien lebt im 18. Jahrhundert und war als Kind ihrer Zeit eine Aufklärerin. In dem experimentellen Dokumentarfilm von Eva C. Heldmann finden ihre präzisen Pflanzenzeichnungen, aber auch Gedanken zur Naturphilosophie und Sozialpolitik, zu einem hellsichtigen Bild dieser Zeit zusammen.


Weitere Filme, kurz notiert


Sterben

in älteres Ehepaar kann aufgrund körperlicher und geistiger Gebrechen das gemeinsame Leben in ihrer Wohnung nicht mehr fortsetzen. Der demente Mann muss in ein Pflegeheim und stirbt bald darauf. Sein Tod zwingt den Sohn des Paares, einen erfolgreichen Dirigenten, endlich sein marodes Verhältnis zur Mutter zu klären, während seine Schwester in der Abwärtsspirale ihrer Alkoholsucht gefangen bleibt.


La Cocina

Eine junge Immigrantin aus Mexiko ergattert in New York eine Stelle in einem Restaurant am Time Square, wo viele Einwanderer aus Lateinamerika arbeiten. Der Stress ist groß und der Tonfall oft ruppig. Der in Schwarz-weiß gedrehte Film versucht das hektische Treiben in der Restaurantküche zur Reflexion über die Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor auszubauen.


Sasquatch Sunset

Abenteuerfilm zwischen dokumentarischem Natur-Gestus und surrealer Bigfoot-Fantasie, der auch dadurch besticht, dass die ungewöhnlichen Protagonisten auch ohne Sprache zu liebenswerten Charakteren ausgebaut werden.


Architecton

Seit die Menschheit sesshaft wurde, lebt sie in Bauwerken. Während alte Ruinen wie im libanesischen Baalbek von der Schönheit und Dauerhaftigkeit dessen zeugen, was Menschen aus Stein erschaffen haben, ist mittlerweile Stahlbeton das Material der Moderne. Ein äußerst sinnlicher, konzeptionell aber wenig differenzierter Film, der zu einer Revision gegenwärtigen Bauens auffordert.

Bildmächtiges Epos über das Bauen: "Architecton" (Berlinale)
Bildmächtiges Epos über das Bauen: "Architecton" (© Berlinale)


Langue Étrangère

Eine junge Französin kommt im Rahmen eines Austauschprogramms nach Leipzig; der Sprachaufenthalt soll auch eine Atempause sein, um familiären Spannungen und dem Mobbing in ihrer Schule zu entkommen. Ihre psychischen Probleme kann die sensible Teenagerin in der neuen Umgebung zwar nicht ganz hinter sich lassen. Doch nach einem zögerlichen Start entwickelt sich eine intensive Freundschaft zu ihrer deutschen Austauschschülerin.


Treasuure

Nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs unternimmt eine US-Journalistin, deren Eltern aus Polen stammen und die Shoah überlebten, in den frühen 1990er-Jahren zusammen mit ihrem Vater eine Reise in dessen Heimat. Der alte Mann ist allerdings gar nicht darauf erpicht, die Orte seiner Jugend, die unlöslich mit dem Trauma des Holocaust verbunden sind, wiederzusehen.


Des Teufels Bad

Eine junge Bauersfrau aus Oberösterreich fühlt sich nach ihrer Heirat nicht wohl. Sie ist überfordert und wird vor allem von ihrer Schwiegermutter verachtet; der Kinderwunsch bleibt unerfüllt, weil ihr Mann die Ehe nicht vollziehen mag. Als sich ihr Zustand zu einer quälenden Depression auswächst, findet sie auch in ihrem Glauben keinen Halt mehr und greift schließlich zu einem schockierenden Mittel, um ihrem als unerträglich empfundenen Leben zu entkommen. Das düstere, auf historischen Fällen fußende Drama.

Aus einer anderen Zeit: "Des Teufels Bad" (Ulrich Seidl Filmproduktion)
Aus einer anderen Zeit: "Des Teufels Bad" (© Ulrich Seidl Filmproduktion)


Meanwhile on Earth

Eine junge Französin leidet auch mehrere Jahre, nachdem ihr Bruder bei einer Weltraummission spurlos verschwand, an dem Verlust. Eines Tages hört sie die Stimme des Verschollenen aus dem All, und eine außerirdische Lebensform nimmt Kontakt zu ihr auf. Science-Fiction-Drama mit immer wieder unerwarteten Kurswechseln und einer beachtlichen Einlassung auf existenzielle Fragen.


Black Tea

Am Tag ihrer Hochzeit entscheidet sich eine junge Ivorerin, die Zeremonie nicht zu vollziehen, sondern nach China auszuwandern, wo sie in einem Viertel mit anderen afrikanischen Einwanderern und Einheimischen Anschluss und Arbeit in einem Teeladen findet. Behutsamkeit inszeniertes Drama, das laute Töne meidet und sensibel und warmherzig die Gefühle der verschlossenen Figuren greifbar macht.


In Liebe, Eure Hilde

Andreas Dresen widmet einer kaum bekannten Widerstandskämpferin gegen den NS-Terror ein bewegendes Porträt. Die von Liv Lisa Fries intensiv verkörperte Hilde Coppi wurde 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet, weil sie in die Aktivitäten der kommunistischen Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ verwickelt war.


My Favourite Cake

Morin aus Teheran ist 70 Jahre alt und allein. Beides gefällt der temperamentvollen Frau nicht, die mit den Mullahs seit jeher auf Kriegsfuß steht. Auf Anraten ihrer Freundinnen sieht sie sich nach einem Gefährten um und stößt dabei auf einen älteren Taxifahrer, der ihrer Einladung zu einem Rendezvous auch Folge leistet.

"My Favourite Cake" (Hamid Janipour)
"My Favourite Cake" (© Hamid Janipour)


Hors du temps

In einer semi-autobiografischen Wendung erinnert sich Olivier Assayas an die erste Lockdown-Phase im späten Frühjahr 2020, als er mit seinem Bruder und ihren beiden Lebensgefährtinnen im Haus seiner Eltern lange Wochen im Chevreuse-Tal verbrachte, wo die Natur frühlingshaftes Grün sprießen lässt. In der ungewohnten Stille dringt jedoch bald der innere Lärm nach außen.


Small Things Like These

Eine Begegnung im örtlichen Kloster in New Ross, Irland, zwingt 1985 einen Kohlehändler, die Augen vor dem Elend junger Frauen nicht mehr zu verschließen, die hierher abgeschoben wurden, weil sie schwanger sind, ohne verheiratet zu sein. Ein programmatischer Film, der sich auf Zwischentöne versteht.


Übersicht über Texte zur 74. Berlinale


Mehr wäre möglich gewesen - Ein Fazit der 74. Berlinale

Mit viel Publikumszuspruch und einem überdurchschnittlichen Wettbewerb hat sich das Berlinale-Führungsduo Mariette Rissenbeek & Carlo Chatrian nach fünf Jahren verabschiedet. Der „Goldene Bär“ für den Dokumentarfilm „Dahomey“ konnte dabei wie manche andere Jury-Entscheidung nur bedingt überzeugen. Viele ambitionierte Filme sorgten aber dennoch für einen versöhnlichen Abschied .


Goldener Bär für "Dahomey"

Der „Goldene Bär“ der Berlinale 2024 geht an den Dokumentarfilm „Dahomey“, der mit experimentellen Ansätzen von der Rückgabe geraubter Kulturgüter aus der Kolonialzeit in ihr Ursprungsland Benin handelt. Eine unerwartete Wahl, mit der die Berlinale einmal mehr ihre politische Fahne flattern ließ.


"Shahid" gewinnt den Caligari-Filmpreis

Die deutsche Produktion "Shahid" gewinnt den 39. Caligari-Filmpreis. Der Film verbindet Dokumentarisches und Fiktionales und erzählt die Geschichte einer deutsch-iranischen Frau, die ihren Namen ändern lassen will.


Ökumenischer Preis für "My Favourite Cake"

Bei den 74. Internationalen Filmfestspielen Berlin (15.-25.2.2024) hat die Ökumenische Jury den iranischen Film „My Favourite Cake“ von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha ausgezeichnet. Weitere Preise gingen an die Filme „Sex“, „Maria’s Silence“ und „Intercepted“.


In der Fremde - Überragende Filme im Wettbewerbe

Über Filme von Bruno Dumont, Abderrahmane Sissako, Claire Burger, Hong Sang-soo, afrikanische Statuen und Nilpferde im Berlinale-Wettbewerb 2024. Ein Überblick über herausragende Werke und ihre überraschend positive Sicht auf die Verhältnisse zwischen Menschen.


Im Schatten des Krieges - Drei Filme aus der Ukraine

Über drei Filme aus der vom Krieg erschütterten Ukraine, die im Rahmen der 74. Berlinale Premiere feierten: "Intercepted" von Oksana Karpovych, "The editorial Office" von Roman Bondarchuk und "Turn in the Wound" von Abel Ferrara.


Martin Scorsese - Der Größte

Bei der Berlinale 2024 wurde Martin Scorsese mit einem "Ehrenbär" für sein Lebenswerk geehrt. Wie wenige andere Regisseure hat er sich mit seiner Persönlichkeit, seinen virtuosen Arbeiten und seiner schieren Leidenschaft fürs Kino in die Filmgeschichte eingeschrieben.


Ökumenischer Empfang bei der Berlinale

Beim Kirchenempfang während der 74. Berlinale wurde es schnell grundsätzlich. In einem Podiumsgespräch diskutierten der katholische Medienbischof Kardinal Reinhard Marx und der Münchner Produzent Ingo Fließ über Filme und Geschichten, die für eine demokratische Gesellschaft wichtig sind. Fließ beklagte dabei einen „eklatanten Mangel an relevanten Stoffen“ im deutschen Kino.

Kardinal Reinhard Marx beim Ökumenischen Empfang (Walter Wetzler)
Kardinal Reinhard Marx beim Ökumenischen Empfang (© Walter Wetzler)


Interview mit Andreas Dresen zu "In Liebe, Eure Hilde"

Ein Gespräch mit dem Regisseur über seinen neuen Film, die Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" und was in der augenblicklichen Situation in der deutschen Gesellschaft Not tut.


Grüne Wunder – Die ersten Filme aus dem Wettbewerb

In den Berlinale-Filmen stemmen sich Gärten, Gewächse und Gefühle erfolgreich gegen das Krisen-Grau der Wirklichkeit.


Ich bin außen und innen - Maria Lassnig

Der biografische Film „Mit einem Tiger schlafen“ (2024) von Anja Salomonowitz und ein Kurzfilmprogramm ermöglichen bei der Berlinale eine Begegnung mit der österreichischen Avantgardekünstlerin Maria Lassnig.


Schaut hin! Die Eröffnung der Berlinale

Die 74. Berlinale 2024 startet mit politischen Bekräftigungen und dem irisch-belgischen Drama „Small Things Like These“.


Die Woche der Kritik

Parallel zur Berlinale verhandelt die „Woche der Kritik“ Fragen rund um die Themen Kino, Filmkritik und Klimakrise.

Die "Woche der Kritik" findet parallel zur Berlinale statt.
Die "Woche der Kritik" findet parallel zur Berlinale statt.


Übersicht über das Berlinale-Programm

Ein Überblick über das Filmprogramm, die Gäste und was sich sonst noch rund um den Potsdamer Platz tut.


Braune Schatten - Alfred Bauer & die Berlinale

Die von der Berlinale in Auftrag gegebene Studie zur Rolle ihres ersten Leiters Alfred Bauer in der Nazi-Zeit ist erschienen und beleuchtet dessen Verstrickungen ins NS-System, aber auch seine erfolgreichen Strategien, diese Verbindungen in der Nachkriegszeit zu kaschieren.

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