Im Herbst 2008 irritierte der Hollywood-Schauspieler Joaquin Phoenix die Öffentlichkeit mit seiner Ankündigung, in Zukunft nicht mehr als Schauspieler arbeiten zu wollen und stattdessen eine Laufbahn als Hip-Hop-Sänger einzuschlagen. Es folgten bizarre Auftritte mit dunkler Sonnenbrille, ungepflegtem Haar und Vollbart, bei denen sich Phoenix nuschelnd den Fragen der Interviewer entzog. Geradezu legendär ist seine inzwischen zum Youtube-Hit avancierte „Performance“ bei David Letterman, eine geradezu brillante Demonstration in Sprachverweigerung, die vom ungläubigen Gelächter des Publikums begleitet wurde, während Letterman den Auftritt mit beißendem Spott kommentierte („Joaquin, tut mir leid, dass Du heute Abend nicht hier sein konntest“).
Schon damals wurde öffentlich diskutiert, ob es sich bei Phoenix’ Entgleisungen um den bemitleidenswerten Niedergang einer Star-Persona handelte oder aber um einen „hoax“, einen scherzhaften Schwindel. In Casey Afflecks „Dokumentation“ über das in vielerlei Hinsicht grenzwertige Jahr in Phoenix’ Laufbahn erscheint die Frage nach Authentizität bzw. Fake/Fiktion jedoch obsolet. Denn zum einen hat Affleck, als Schauspielerfreund und Schwager weniger Regisseur als vielmehr ein mit einer Kamera ausgestatteter Insider, bei der Präsentation des Films den Fake-Charakter des Projekts enthüllt, zum anderen ist das Inszenierte daran offensichtlich. Vielleicht – das ist das eigentlich Interessante an dem Film – macht es aber auch gar keinen Unterschied, da Joaquin Phoenix ohnehin nichts anderes sein kann als eine mediale Figur, und Authentizität schon lange nicht mehr als eine Kategorie gilt, die frei ist von Inszenierung und Konstruktion, auch wenn das Begehren danach ganz offensichtlich ungebrochen ist. Afflecks Film ist in diesem Sinne eine Art Authentizitäts-Revue, indem er das gesamte Repertoire an „Echtheitsäußerungen“ vorführt, von der Selbstentblößung bis hin zur Selbstdemontage. So sieht man Phoenix während seiner misslungenen Bühnenauftritte, bei denen er vom Publikum ausgebuht und böse parodiert wird, wie er nach dem Letterman-Auftritt zum Heulen ins Gebüsch flüchtet, beim Selbstmonologisieren, Hoffen und Zweifeln, beim Pornoseiten-Surfen und Koksen. Zu den demütigendsten Momenten zählen jedoch Phoenix’ klägliche Versuche, den Hip-Hop-Superstar P Diddy als Produzenten für sein Album zu gewinnen. Einmal kommt Phoenix zu spät, ein anderes Mal ist der Musiker einfach schon abgereist, und als der Ex-Schauspieler schließlich bei Diddy im Tonstudio sitzt, kann dieser angesichts der grottenschlechten Nuschelei innerlich nur die Augen verdrehen und schickt ihn wieder nach Hause. Durch das Hip-Hop-Desaster erhält der anfänglich geäußerte Wunsch, nicht mehr Joaquin Phoenix zu spielen, sondern endlich einmal etwas zu machen, das ihn selbst repräsentiere, eine extrem groteske Bedeutung.
Zur Exponierung des vermeintlichen Ichs gehört auch die körperliche Zurschaustellung, mit allem, was dabei an unappetitlichen Details dazu gehört. So sieht man Phoenix, der im Laufe des Films zunehmend verfettet und verschmuddelt, öfter seinen dicken Bauch und die verfilzte Zottelmähne in die Kamera strecken oder dabei, wie er sich von einem seiner Assistenten ein aus dem Rücken wachsendes Haar abschneiden lässt. Phoenix ist während des gesamten Films im Grunde nie (mit der Kamera) allein, immer ist er von Agenten oder Pressebetreuern umgeben und von seiner Entourage aus zwei persönlichen Assistenten, mit denen er wohngemeinschaftsähnlich zusammenlebt und die er abwechselnd vollheult oder erniedrigt. Natürlich ist „I’m Still Here“ streckenweise nervtötend und nicht immer angenehm anzusehen – manches geht über das erträgliche Maß an Fremdschämen schlichtweg hinaus. Letztendlich erscheint die Konsequenz des gesamten Projekts zwar „konzeptuell“ richtig, doch das Ergebnis ist überaus hermetisch. Am Ende spielt Phoenix seine Method-Acting-Performance bis zum Erbrechen durch – und das buchstäblich.