Ein Angestellter des Londoner Sozialamts widmet sich hingebungsvoll seiner Aufgabe, Angehörige und Bekannte von Menschen aufzuspüren, die einsam gestorben sind. Er schreibt einfühlsame Reden, organisiert die Beerdigungen und kümmert sich um die letzten Dinge. Doch dann wird seine Abteilung aufgelöst, und er verliert seinen Job. Ein letzter Fall bleibt ihm noch, in den er sich mit aller Energie stürzt. Doch je mehr er den Spuren des fremden Lebens folgt, desto mehr Distanz bekommt er zu einem eigenen. Eine liebevolle, hervorragend gespielte Komödie, die dem ernsten Thema gesellschaftlicher Vereinsamung mit britischem Humor, vor allem aber mit großer Einfühlsamkeit begegnet.
- Sehenswert ab 14.
Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit
Komödie | Großbritannien/Italien 2013 | 92 Minuten
Regie: Uberto Pasolini
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Filmdaten
- Originaltitel
- STILL LIFE
- Produktionsland
- Großbritannien/Italien
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Redwave Films/Embargo Films
- Regie
- Uberto Pasolini
- Buch
- Uberto Pasolini
- Kamera
- Stefano Falivene
- Musik
- Rachel Portman
- Schnitt
- Tracy Granger · Gavin Buckley
- Darsteller
- Eddie Marsan (John May) · Joanne Froggatt (Kelly) · Karen Drury (Mary) · Neil D'Souza (Shakti) · Andrew Buchan (Council Manager)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- 04.09.2014
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
John May ist kein Mann der großen Taten. Aber er hat ein großes Herz, auch für Menschen, die bereits das Zeitliche gesegnet haben. Mit ihnen beschäftigt er sich als Angestellter der Londoner Sozialbehörde von Berufs wegen. Insbesondere mit den ganz armen Teufeln, die ohne einen geliebten Menschen allein aus dem Leben scheiden. Nachdem May sich in deren Wohnungen umgesehen und alles, was als Hinweis dienen könnte, eingesteckt hat, legt er eine Akte an. Eine Weile sucht er Hinterbliebene: Familienmitglieder, ehemalige Lebenspartner, alte Freunde, einstige Schulkameraden, Kindern, die nicht selten im Zwist von den Eltern weggezogen sind. Manchmal wird May fündig. Oft allerdings bleiben seine Bemühungen ohne Erfolg. Dann ist May neben Pfarrer, Rabbi oder Imam der Einzige, der am Grab steht. Mehr noch: Er ist – und da führt er seinen Job dann doch weit über dessen Beschreibung hinaus aus – derjenige, der die Beerdigung organisiert, gestaltet und die Grabreden schreibt: Wer zum Ende seines Lebens bei John May landet, dem geht es in diesem Film richtig gut.
Dementsprechend echt britisch und liebenswürdig humorvoll beginnt der nach „Spiel der Träume“ (fd 39 284) zweite Film von Uberto Pasolini. Mit einer im Stakkato gehaltenen Reihe von Bestattungen reiht er sich schon eingangs in einen Kanon einschlägiger britischer Komödien ein, die wie etwa in „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ (fd 30 917), „Sterben für Anfänger“ (fd 38 237), „Lang lebe Ned Devine!“ (fd 33 598) oder „Grasgeflüster“ (fd 34 402) ein ausgesprochenes Flair für schwarzen Humor, aber auch für die unabdingbaren britischen Seiten des Seins offenbaren. Gleichzeitig erinnert der Film aber auch an Yôjirô Takitas „Nokan – Die Kunst des Ausklangs“ (fd 39 588).
Angestoßen wird die Handlung, als auch bei der Sozialbehörde der Gürtel enger geschnallt werden muss. Das Amt wird reorganisiert. Ein jung-dynamischer Mr. Pratchett taucht in Mays Büro auf und führt aus, dass bei fehlenden Hinterbliebenen Bestattungen eigentlich überflüssig seien. In solchen Fällen soll die Asche fortan formlos auf einem Friedhof verstreut werden. Dass es eventuell eine zweite Wahrheit gibt und Menschen eventuell eine Seele haben, die es schätzt, anständig verabschiedet zu werden, steht auf einem anderen Blatt.
Aber es geht hier ja eigentlich auch gar nicht um die Toten, sondern um May, authentisch gespielt vom bisher eher auf Nebenrollen spezialisierten Eddie Marsan. May ist ein typischer Engländer: Stets korrekt in Auftreten und Erscheinung, verlässt er Tag für Tag zur gleichen Zeit seine winzige Sozialwohnung, geht den immer gleichen Weg zur Arbeit und verschwindet, die Kollegen freundlich grüßend, im Keller zwischen riesigen Archivregalen. Das hat umso mehr etwas Kafkaeskes, als May nach Arbeitsschluss zuhause die Fotos seiner „Kunden“ in ein Album klebt, was ihn als ebenso einsamen Zeitgenossen ausweist wie diejenigen, um die er sich kümmert.
Doch dann erhält May die Kündigung. Unverzüglich und nicht anzufechten; seinen Job erledigt fortan eine Kollegin. Nur drei Tage werden ihm gewährt, um seine letzten Fälle abzuschließen und das Büro aufzuräumen. Darunter geht ihm der Fall eines Mannes ungefähr seines Alters besonders ans Herz, der in einer Wohnung direkt gegenüber von John May wohnte, mit dem er aber sein ganzes Leben lang kein einziges Wort gewechselt hat. Also macht er sich auf die Suche nach dessen Angehörigen, um dem Toten zu einer gebührend Beerdigung zu verhelfen. Und findet tatsächlich Saufkumpane, eine ehemalige Liebe und eine von Joanne Froggatt ganz wunderbar gespielte Tochter.
Es ist ein einzigartiges Universum, in das Uberto Pasolini die Zuschauer entführt. Auch wenn es auf den ersten Blick etwas abwegig erscheinen mag: Die Vereinsamung, auf welche der Film in liebenswürdig-verschmitzter Weise aufmerksam macht, ist ein topaktuelles, gesellschaftliches Thema.
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