Die im Dunkeln sieht man nicht. Oder um es mit Steely Dan zu formulieren: „They got a name for the winners in the world / I want a name when I lose.“ Mag jemand wie Martin Scorsese mit „No Direction Home“ die Geschichte Bob Dylans erzählen, die Coen-Brüder werfen lieber einen mitleidlosen Blick in den Hinterhof eines Clubs, wo ein Unbekannter einen Erfolglosen verprügelt. Für selbsternannte Künstler haben die Coens noch nie sonderlich viel übrig gehabt, man erinnere sich nur an diesen Drehbuchautor namens Barton Fink aus New York, dem sich nach einem Theatererfolg Hollywood als Hölle offenbarte. Auch der Folk-Sänger Llewyn Davis hatte als Teil eines Duos Erfolg, doch dann hat sich sein Partner umgebracht. Davis macht alleine weiter, gibt Solo-Auftritte, nennt sein neues Album mutig „Inside Llewyn Davis“, doch es liegt wie Blei in den Regalen. Was auch damit zu tun haben könnte, dass der Film nicht sicher zu sein scheint, dass da viel drin ist in Llewyn Davis.
Der Film spielt im Winter 1960/61 und heftet sich an die Fersen des nicht sonderlich sympathischen Sängers, der nur wenig Erfolg, aber allerlei Probleme hat. Das Bohème-Leben ohne feste Bleibe, das Davis führt, ist sehr mühselig und eigentlich nur zu ertragen, wenn man selbst von sich und dem, was man treibt, absolut überzeugt ist. Immerhin gibt es Momente in diesem Film, in denen Davis recht genau weiß, was er nicht werden will: ein Spießer. Aber sonst? Er verdient mit seiner Kunst kaum Geld, muss jeden Abend darauf hoffen, einen Schlafplatz angeboten zu bekommen, hat die Frau seines besten Freundes geschwängert, der ihm ab und zu noch einmal einen Studio-Job verschafft, wird von der Katze eines befreundeten Paares in Atem gehalten – und reist irgendwann, als er ganz unten angekommen ist, verzweifelt nach Chicago, um bei einem einflussreichen Folk-Impresario persönlich vorzusprechen. Ohne größeren Erfolg. Unterwegs wird er noch von einem Jazzmusiker auf eine geradezu niederschmetternde Weise verhöhnt, so wie ihn die eigene Schwester als Versager verachtet. Ganz zum Schluss, wieder in New York, beendet Davis einen Auftritt und hinter seinem Rücken betritt ein junger Mann die Bühne, den es aus Hibbing, Minnesota ins Greenwich Village verschlagen hat, um sich dort unter neuem Namen als legitimer Erbe von Woody Guthrie zu entwerfen. Vorerst! Aber das ist eine andere Geschichte, die bereits – siehe oben – von Scorsese verfilmt wurde.
Es ist also eine ziemlich elende Geschichte, die „Inside Llewyn Davis“ durchaus etwas boshaft erzählt. Die Geschichte eines Mannes, dessen Liebe zur Kunst (fast) unerwidert blieb und der folglich kaum Spuren hinterlassen hat. Die Liebe, die die Coens ihrem Protagonisten konsequent verweigern, haben sie dafür in den Film gesteckt und diesen mit viel Akribie in ein derart stimmiges period piece verwandelt, dass man durchaus meinen könnte, hier werde ein Seitenzweig der Erzählung ausgebreitet, den Scorsese aus seiner Dylan-Dokumentation herausgeschnitten hat. Der Film steckt voller Anspielungen, lässt sich gewissermaßen in die Karten gucken, ist eine leichthändige Bastelei: seine Atmosphäre verdankt sich der Tatsache, dass er gewissermaßen die Verfilmung des berühmten Cover-Fotos von „The Freewheelinʼ Bob Dylan“ ist, das 1962/63 eingespielt wurde. Hinter der Figur von Llewyn Davis kann man schemenhaft den Folk-Sänger Dave Van Ronk erkennen, der von John Goodman gespielte Jazzer erinnert an den legendären Doc Pomus, der sich hier von einem jungen Mann fahren lässt, der sich als Mischung aus James Dean, Neal Cassady und River Phoenix stilisiert. Um all diese mehr oder weniger dichten Realitätspartikel haben die Coens noch einen für sie typischen Firnis aus Pop-Mythologie gelegt, wenn etwa der sehr prominent mitspielende Kater auf den Namen Odysseus hört, womit der Film nicht nur einen weiteren Subtext bekommt, sondern sich zudem auch noch zu „O Brother, Where Art Thou?“ in Beziehung setzt, in dem die Musik ja auch schon eine zentrale Rolle spielte.
Und schließlich ist da ja auch noch die Folk-Musik selbst, die hier mit viel Detailgenauigkeit und Respekt in aller Ausführlichkeit rekonstruiert und dargeboten wird. Der Hauptdarsteller Oscar Isaac singt selbst, Justin Timberlake hat einen nur auf den ersten Blick ironischen Auftritt, ist sonst aber mit Hingabe dabei. Genau durch diesen Umgang mit der Musik aber schlägt der Film noch einmal eine Volte, denn hierin spiegelt sich die Ernsthaftigkeit, mit der Llewyn Davis seine Kunst vertritt. Er mag erfolglos sein, er mag eitel und unsympathisch sein, aber er fühlt sich seiner Musik so absolut verpflichtet, dass er seine Niederlagen geradezu stoisch hinnimmt. Er will kein Mitleid, seine Haltung verdient Respekt. Und für die Nachwelt hat er, der Verlierer, jetzt auch einen Namen: Llewyn Davis.