Kann das gelingen? Einen Paranoia-Thriller drehen, der alle Zutaten des Genres pointiert aufgreift und zugleich doch alles so dekonstruiert, dass am Schluss sogar noch etwas Produktiv-Aufklärerisches über das gegenwärtige Erzählen und die Erwartungen des Zuschauers bestehen bleibt? Und sich nicht als billige Satire, als mutig-lustiger „Tatort“ mit Shakespeare- und Italo Western-Zitaten verläppert?
Christoph Hochhäuslers „Die Lüge der Sieger“ hat sich an diese ambitionierte Aufgabe gewagt – und ist womöglich erst auf der Zielgeraden gescheitert. Notwendig gescheitert. Starreporter und Porsche-Fahrer Fabian Groys ist einer großen Story auf der Spur, in der es darum geht, dass invalide Kriegsheimkehrer aus Afghanistan aus den Statistiken gemogelt werden. Doch Groys’ Informant hat kalte Füße bekommen, weshalb die Story wackelt. Groys ist zuckerkrank und spielsüchtig, er muss sich Insulin spritzen und ab und zu auch seinen stylishen Porsche beleihen, um seine Schulden begleichen zu können. Ein Glamour-Boy der Aufklärung. In der Redaktion des Hauptstadt-Magazins stellt man ihm die junge, scheinbar etwas unbedarfte Praktikantin Nadja zur Seite. Groys, der als „Loner“ gerne alleine arbeitet, lässt sie herablassend eine abstruse Geschichte recherchieren, die von den Boulevard-Medien schon verbrannt erscheint. Die junge Frau beginnt auch brav zu recherchieren. Zwischenzeitlich sieht man, wie ein Mann von einem Beraterteam auf ein wichtiges Gespräch vorbereitet wird. Nadjas Recherche führt zur Annahme, dass die Bundeswehr-Geschichte mit dem spektakulären Selbstmord eines Veteranen zusammenhängen könnte, der in einer Recyclingfirma arbeitete. Jetzt wittert Groys plötzlich eine Riesengeschichte und rückt die Mitarbeiterin in Macho-Manier zurück ins zweite Glied.
Es ist schon erstaunlich, wie Hochhäusler und sein Co-Autor Ulrich Peltzer alle vertrauten und erwartbaren Genre-Zutaten eines investigativen Thrillers versammeln, um dann letztlich doch eine ganz andere Geschichte zu erzählen, eine über Manipulation und die scheiternde Hoffnung auf die Erzählbarkeit einer vertrauten Wirklichkeit. Da gibt es den unzuverlässigen Informanten, gerade noch erkennbare Netzwerke und beredtes Schweigen, da gibt es Angehörige, die eingeschüchtert wirken, einen Chefredakteur, der die schlüssige Geschichte auf Löcher gegencheckt – und das streitende Ermittlerpaar, das sich bei der Arbeit, die aus Archivrecherche und Gesprächsterminen besteht, zusammenrauft und (fast) ineinander verliebt. Währenddessen geht es andernorts um die anstehende Novellierung eines Umweltschutzgesetzes und die unverhohlenen Wünsche der Müllindustrie, die strengen Auflagen künftig etwas gelockert zu bekommen. Ein Giftmüllskandal käme deshalb gar nicht gelegen. Zu spät bemerkt der Reporter, dass es gerade seine professionelle Routine ist, die ihn manipulierbar machte.
Doch so recht will sich das alles nicht fügen, weil der Film selbst nicht so tut, als habe er wie ein auktorialer Erzähler den konstatierenden Überblick. Der Kamerablick scheint unscharf oder leicht versetzt; viele Blicke sind nicht eindeutig zuortbar; anderes bleibt komplett dem Blick entzogen. Hochhäusler hat dieses Verfahren eine „musikalische Montage“ genannt, die nicht länger „nur“ das Schauspiel abbildet, „sondern ihrerseits kommentiert, pointiert, rafft, voraus- und gelegentlich auch über das Geschehen hinausschaut.“ Das Resultat erinnert in seiner Unbestimmtheit atmosphärisch an Antonionis „Blow up“
(fd 14 724), was in der Kombination mit Sphären des Politischen und der Öffentlichkeit schlüssig und auf der Höhe der Zeit erscheint, dem Zuschauer und seinen Genre-Erwartungen aber eine forcierte Verunsicherung zumutet. Selbst das ohnmächtige Mitansehenmüssen der Ermordung des Protagonisten in klassischen Polit-Thrillern wie „Zeuge einer Verschwörung“
(fd 19 259) oder „Die Macht und ihr Preis“
(fd 19 828) hatte immerhin noch das Scheitern einer offenbar treffenden Recherche auf der Habenseite. Der potentiell aufklärerische Impuls blieb letztlich intakt und wurde an die Zuschauer weitergereicht. Bei Hochhäusler/Peltzer aber bleibt am Ende nur das Unbehagen des „You ain’t seen nothing yet“, das noch dadurch verstärkt wird, dass entscheidende Schachzüge sich ohnehin in der digitalen Welt vollziehen, die den Alltag prägt – und im entscheidenden Moment überdies Groys’ Schwäche eklatant vor Augen führt. Diesen Protagonisten muss man nicht mehr töten, um ihn auszuschalten.
Es sind solche abgründigen Ungleichzeitigkeiten, die dem Film seinen perfiden „Impact“ verleihen, weil „Öffentlichkeit“ hier nur noch als eine Simulation erscheint, die zudem mit hoffnungslos veralteten Medien gestaltet wird. Dazu passt nicht nur der alte Porsche des Reporters, der direkt aus „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“
(fd 19 524) stammen könnte, oder die filmgeschichtlichen Reverenzen an Nicolas Roeg und Francis Ford Coppola, sondern auch das pessimistische Schlusswort des „Beat“-Poeten Lawrence Ferlinghetti: „Geschichte wird gemacht aus den Lügen der Sieger. Aber man würde es nicht erkennen an den Titeln der Bücher.“