Es startet mit dem Amtseid in Alltagskleidung, Sekt im Plastikbecher und einem schmucklosen Seminarraum. Der erste Schritt im Lehrerberuf beginnt mit minimalen Feierlichkeiten. Nach dem Studium nehmen die Lehramtsanwärter ein zweijähriges Referendariat auf; eine gefürchtete Zeit, die sie auf ihre Tätigkeit als Lehrer an staatlichen Schulen vorbereitet. Werden sie in der Praxis bestehen und Schüler, Kollegen und vor allem ihre Prüfer überzeugen? Werden sie sich zu den Lehrern entwickeln, die sie gerne wären?
Fünf angehende Berliner Lehrerinnen und Lehrer hat der Dokumentarist Jakob Schmidt in dieser Phase begleitet. Drei davon haben Eingang in seinen Debütfilm gefunden. Katja, die selbstbewusste Tochter einer Lehrerin, ausgebildet in den Fächern Geografie und Deutsch, tritt ihr Referendariat in einer Gesamtschule an. Ralf geht mit Deutsch und Geschichte ans Gymnasium. Er hat sich sein Berufsziel mühsam über den Zweiten Bildungsweg erarbeitet und strahlt zielstrebige Gelassenheit aus. Die ruhige Anna lehnt das Ausüben von Autorität ab und will in der Grundschule Kindern die Freiräume geben, die sie zum Lernen und Entwickeln brauchen.
Welcher Ansatz, welche Methoden und welche dieser drei Persönlichkeiten am geeignetsten für den Lehrerberuf erscheinen, sind Fragen, auf deren Beantwortung sich die Inszenierung gar nicht erst einlässt. Nie verharrt die Kamera so lange auf einer Szene oder bei einem Gespräch, als dass ein umfassender Eindruck von einer Person oder ihrem Unterricht entstehen könnte. Auf eine Beobachtung folgt die nächste, auf die Aussage einer Figur die einer anderen.
Wie bei einem Kaleidoskop fügen sich die Aufnahmen mit jedem Schnitt zu einem weiteren Gesamtbild zusammen. Von Ralfs Klassenraum geht es an Annas Küchentisch, von Katjas Kollegengespräch in die Buchhandlung zur Auswertung mit Seminarleitern, in Katjas Klasse, in Annas Klasse, in Katjas Wohnung, in Ralfs Wohnung usw. Alles steht wertfrei und gleichberechtigt nebeneinander. Niemals legt sich der Film fest. Die Inszenierung hütet sich davor, Aspekte zu gewichten. Der Titel des Films „Zwischen den Stühlen“ spielt nicht nur auf die Situation der drei Referendare an, die zwischen Lehrer- und Lehrlingsdasein pendeln, sondern ist gewissermaßen auch ästhetisches Gestaltungsprinzip.
Das Ergebnis wirkt gerade deswegen wie aus dem Leben gegriffen. Die schiere Fülle an Bildern und Eindrücken, meist aus der Perspektive einer „Fliege an der Wand“ aufgenommen, verdichtet sich durch die chronologische Montage zum aufschlussreichen Konzentrat über all jenes, was Schule heute ausmacht – von herausfordernden Schülern bis zur Wackelblume im Lehrerzimmer. So vielfältig und bunt wie die Kinder und Jugendlichen sind auch die Herausforderungen des Berufs, die Art und Weise des Umgangs damit und die Lehrer selbst. Doch wie die Schüler müssen auch sie durchs „Rad“ des Schulsystems, insbesondere im Referendariat, in dem es freilich ums Bestehen geht.
Unter den Spaß des Lehrens mischen sich bei allen drei Protagonisten mehr und mehr Überforderung, Zweifel und Müdigkeit. Der Job und die stetige Auseinandersetzung damit gehen an die Substanz. Ist es Zufall oder eine Notwendigkeit, dass ausgerechnet die systemkritischste Referendarin in ihren Prüfungen am meisten zu kämpfen hat? Machen vielleicht gerade ihre „Fehler“ sie als Lehrerin besonders?
Eine Antwort darauf gibt der Film nicht. Durch präzise Beobachtungen von Details und die Fokussierung auf die fragile Position der Referendare schafft es der Regisseur allerdings, grundlegende Gedanken zum System Schule anzustoßen. Wie bei den meisten Dokumentarfilmen zum Thema, etwa auch im aktuell anlaufenden „Berlin Rebel High School“
(fd 44688) dreht sich indirekt alles um die entscheidenden Fragen: Welche Art von Bildung und Schule braucht unsere Gesellschaft bzw. welche Art von Gesellschaft schafft unser Bildungssystem? „Zwischen den Stühlen“ bietet einen guten Ausgangspunkt, um diesen Fragen nachzugehen.