Alles dreht sich um Sex. Drehbuchautorin und Regisseurin Lisa Gornick horcht tief in den Kopf der von ihr selbst gespielten Titelfigur hinein. Gabrielle arbeitet an einem gezeichneten Ratgeber über Sex, und auch deshalb denkt sie den ganzen Tag an nichts anderes. Der Film nutzt dieses Szenario aber nicht als dramaturgischen Vorwand zur Inszenierung schlüpfriger oder erotischer Sex-Fantasien. Die Regisseurin liefert mit ihrer kultivierten Protagonistin, einer in London lebenden säkularen Jüdin, eher so etwas wie die späte weibliche Antwort auf Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten...“ (1972,
(fd 18 671)). Zusammengefasst lautet die etwa so: Entspannt euch mal! Gornick behandelt das Thema zurückhaltend und gleichzeitig unverkrampft und so unaufgeregt, dass es eine wahre Freude ist.
Was für ein wunderbares Kontrastprogramm zu den marktschreierischen Sexualolympiaden, die sonst auf Leinwand und Bildschirm begegnen. Über solche Filme oder Serien unterhält sich auch die Mitvierzigerin Gabrielle mit ihrer etliche Jahre jüngeren Partnerin Olivia. Eine Frau habe sich in einer Szene in einem Fernsehfilm darüber beschwert, dass sie beim Sex nicht „gekommen“ sei, woraufhin ihr Partner sich in einem Tonfall, als sei das etwas furchtbar Schreckliches, dafür entschuldigt habe. Für Gabrielle eine lächerliche Vorstellung: Da liegen zwei Menschen, die sich lieben, nebeneinander und verzweifeln an einem Orgasmus. Natürlich: Sex ist Gabrielle wichtig, sonst würde sie nicht an einem Ratgeber mit dem allerdings eher ironisch gemeinten Titel „How to do it“ schreiben und zeichnen. Wenn sie von Menschen spricht, die in ihren langjährigen Beziehungen die Leidenschaft gegen Vertrauen und Gewohnheit eintauschen, tut sie das nicht ohne Bedauern. Aber anstatt ihnen eine Lebenslüge vorzuhalten, räumt sie sich selbst lieber Platz für eine Ungewissheit ein: vielleicht ist das ja gut so.
Im heiteren, selbstironisch lockeren Umgang mit dem kulturell und ideologisch sonst so aufgeladenen Thema erweist sich „The Book of Gabrielle“ als außergewöhnlich reif. Das alleine aber genügt nicht, damit am Ende auch ein guter Film daraus wird. Im Grunde lässt sich „The Book of Gabrielle“ in drei Erzählstränge aufdröseln. Da ist zum einen die Beziehung zwischen Gabrielle und Olivia, in der Gabrielle der Altersunterschied mehr und mehr zu schaffen macht. Ihre Partnerschaft wird im Wechsel von Halbtotalen und markanten Close-ups auf eine bemerkenswert sterile, emotionslose Weise inszeniert. Oftmals in unterkühlter Video-Optik. Die Liebe, die Leidenschaft zwischen den beiden, letztlich ihr ganzes Miteinander, wird mehr behauptet als glaubhaft gemacht. Deutlich lebendiger fühlt sich der zweite Erzählstrang an, in dem Gabrielle bei einer Lesung den erfolgreichen älteren Schriftsteller Saul kennenlernt. Saul bietet sich an, Gabrielle bei ihrem Buchprojekt zu unterstützen. Unverhohlen flirtet er mit ihr; man spürt förmlich, wie es zwischen den beiden knistert. Dennoch scheint das, was sie miteinander verbindet, weniger ein amouröses Interesse als vielmehr eine kreative Erotik aus Nähe und Distanz zu sein, die vor allem in Diskussionen über Gabrielles Buch zum Vorschein kommt.
Das Buch selbst bildet schließlich den dritten narrativen Faden. Gabrielle arbeitet, angefangen bei ihrer Kindheit, ihre eigenen Sexualerfahrungen mit Mädchen und Jungen, Frauen und Männern auf. Die undogmatischen Voice-Over-Gedanken, die sie sich dazu macht, sind erfreulich erfrischend. Allzu erhellend aber fallen sie nicht aus. Die Zeichnungen, die dabei mit wenigen charakteristischen Federstrichen entstehen, bleiben ebenfalls sehr reduziert oder auch: banal. Das gleichförmige Saxophon- und Synthesizer-Gedudel aus dem Off unterstreicht das nur.
Zwar sorgt der klug getaktete Wechsel zwischen den drei Erzählsträngen dafür, dass der Film bis zum Schluss kurzweilig ist. Letztlich aber geht die Mischung aus Drama, Komödie und Essayfilm nicht auf, weil jede einzelne Ebene für sich zu wenig zu bieten hat, zu oberflächlich bleibt. Gabrielle verweigert sich nicht nur dem sexuellem Leistungsdruck und dem Orgasmus-Kult, sondern auch dem narrativen Pendant einer linearen Story mit „heroischem Ende“. Gornick ist da weniger konsequent. Vielmehr steuert ihr Film recht konventionell auf einen klassischen Schlusspunkt zu. Dafür aber hat sie unterm Strich dann aber zu wenig zu erzählen.