Baumsamen, die wie bläulich-weiß schimmernde Quallen durch die Luft schwimmen. Korallenfarbene Blütenkelche, die sich bei Berührung scheu ins Erdreich zurückziehen. Sanft phosphoreszierende Pflanzen. Die Flora von Pandora sieht fast so aus, als läge die Oberfläche des von mächtigen Urwäldern bewachsenen Planeten am Grund eines Meeres. Offensichtlich lässt die Tiefsee den US-Regisseur James Cameron nicht los.
Eigentlich ist „Avatar“, in dem es um die verwandelnde Begegnung eines menschlichen Söldners mit dem fremden Planeten geht, ein Widerspruch in sich. Das Avancierteste an Technologie, was die Filmbranche Ende des 20. Jahrhunderts zu bieten hat, unter anderem ein eigens für „Avatar“ entwickeltes stereoskopisches Kamerasystem zum dreidimensionalen Filmen der Realszenen, wird für die Umsetzung einer Geschichte aufgeboten, in der die Harmonie zwischen Mensch (bzw. Humanoid) und Natur beschworen und einer technisierten, aggressiven Kultur gegenübergestellt wird.
Ein Werk, das neue Maßstäbe setzt
Mit einem gewaltigen Aufwand an digitalen Effekten, deren Umsetzung das Budget des Films in astronomische Höhen trieb, wird ein Werk kreiert, das visuell neue Maßstäbe setzen soll; seine Motive speisen sich allerdings aus dem vertrauten Mythenarsenal des Regisseurs. Da ist das Ozeanisch-Unkontrollierbare, in dem menschliche Überheblichkeit untergeht, da sind die destruktiven Maschinen und die klugen, starken Frauen- bzw. Mutterfiguren. Solche Widersprüche macht der Film allerdings schnell vergessen, ebenso wie die Tatsache, dass seine Handlung ähnlich vorhersehbar ist wie der Plot von „Titanic“, und zudem stark an die Pocahontas-Geschichte erinnert, an die Filme von Hayao Miyazaki oder klassische Social-Science- Fiction à la Ursula K. LeGuin.
Cameron gelingt einmal mehr das Kunststück, ein Stück Kino zu formen, dessen Grandezza alle anderen Blockbuster in den Schatten stellt. Die schiere Bildgewalt, mit der der Clash zwischen menschlichen Kolonisatoren und Pandoras beseelter Natur in Szene gesetzt ist, wird dabei noch von der emotionalen Wucht der melodramatischen Höhepunkte übertroffen. Die Basis dafür sind Figuren, die – wie in allen Filmen Camerons – nicht gerade durch besonders komplexe Charakterisierungen auffallen, aber auch nie zu Statisten des technisch Möglichen degradiert werden.
Das gilt für die menschlichen Protagonisten, aber auch für die mittels Motion Capture kreierten Na’vi, die blauhäutigen Ureinwohner Pandoras. Diese sollen im Film studiert werden, und zwar mittels eines Verfahrens, das menschliches Bewusstsein in „Avatare“ überträgt, die den Körpern der grazilen Aliens entsprechen. In dieser „Verkleidung“ können sich Menschen unter die Na’vi mischen und ihre Lebensweise kennenlernen.
Das Ziel des Konzerns, der die Na’vi-Forscherin Grace Augustine finanziert, ist allerdings nicht das zweckfreie Sammeln von Wissen; vielmehr sollen die Erkundungen dazu benutzt werden, das Waldvolk gefügig zu machen. Die Firma will die Bodenschätze Pandoras ausbeuten; wenn es geht, mit dem Einverständnis der Na’vi, wenn nicht, dann eben auch ohne.
Majestätisches Gleiten in 3D
Jake Sully, ein durch eine Kriegsverletzung querschnittsgelähmter Marine, nimmt an dem Avatar-Programm teil. Schon bei der ersten Expedition in die von gefährlichen Kreaturen nur so wimmelnden Wälder wird der Söldner von seinen Gefährten getrennt und findet fast den Tod. Die Na’vi Neytiri rettet ihn in letzter Sekunde und nimmt ihn mit zu ihrem Clan; eine Bekanntschaft, die Jake zunächst ausnutzt, um Informationen auszuspionieren, die ihn und seine Weltsicht jedoch langsam, aber sicher verändern.
3D mag keine so revolutionäre Neuerung der Filmsprache sein wie die Einführung des Ton- oder Farbfilms, schließlich ist die Suggestion von Raumtiefe fast so alt wie der Film selbst, und tatsächlich funktioniert „Avatar“ auch in 2D. Dennoch wird die Erkundung Pandoras durch die fast hyperrealistische Sogwirkung der neuen Technik zum Faszinosum, das den Hype, der im Vorfeld um „Avatar“ gemacht wurde, durchaus rechtfertigt. Sei es das Gleiten durch die erhabenen Tiefen des Weltraums, seien es die Verfolgungsjagden in dem wild wuchernden Pandora-Wald oder der schwindelerregende Sturz von einer Felskante auf dem Rücken einer Flugechse: Camerons 3D-Technik verleiht dem Kino als suggestivem Erleben von Raum und Bewegung eine neue Qualität.
Dies bleibt in „Avatar“ jedoch nicht reiner Selbstzweck, sondern dient Cameron als kongeniales Medium einer ebenso zeitlos berührenden wie hochaktuellen Fabel, in der der alte Leib-Seele-Dualismus, übertragen auf die Körperpolitik des virtuellen Zeitalters, zur Debatte steht und politisch-ökologische Reizthemen um den menschlichen Umgang mit natürlichen Ressourcen kritisch und eindringlich angegangen werden.
Aufbruch in neue (Kino-)Epoche
Das sinnliche wie sinnige Creature- und Set-Design trägt dies ebenso mit wie die Gestaltung der Körper – von der Hauttextur der Na’vi bis zu den vom Muskelschwund gezeichneten Beinen des Helden – oder die Inszenierung der Nebenfiguren, die bekannte Genre-Stereotypen durch kleine Brüche interessant machen, nicht zuletzt einmal mehr durch die für Cameron typische Unterwanderung von Gender-Klischees. Auf diesem Fundament formen sich die Spannungsbögen ähnlich elegant und imposant, wie sich die Felsbögen über dem heiligen Baum der Na’vi zum Naturmonument runden – zum wahrhaft großen Abenteuer-Epos einer neuen Kinoepoche.