Wes Anderson („Rushmore“, fd 34 741) versammelt in seinem neuen Film ein Personal, das nicht skurriler hätte ausfallen können. Der Clan der New Yorker Tenenbaums lehrt dem Durchschnittsmenschen das Grauen. Familienoberhaupt Royal Tenenbaum ist ein schurkischer Anwalt, der vor rund 30 Jahren Haus, Frau und Wunderkinder verließ und nun urplötzlich versucht, das längst verblasste Familienglück wieder herzustellen. Finanziell in Schwierigkeiten, ist er aus dem Hotel geflogen, in dem er seit der Trennung logierte. Ehefrau Etheline hat inzwischen Erfüllung als städtische Angestellte gefunden und denkt nicht im Traum daran, Haus und Leben mit dem draufgängerischen Ex-Mann zu teilen, zumal sie gerade im Begriff ist, sich mit Henry, ihrem schwarzen Buchhalter, zu verheiraten. Nur durch beharrliche Lügen kann Royal sie erweichen: Er leide an Magenkrebs und würde sterben, wenn sie ihn nicht wieder einziehen ließe.
Nicht nur Royal, auch die gescheiterten Wunderkinder Richie, Chas und Margot, zieht es zurück ins elterliche Haus, einen imposanten roten Backsteinbau, der erfüllt ist von den Kinderträumen der früheren Genies. Papas Liebling, Tennisprofi Richie, kehrt von seinen Schiffsreisen zurück, auf die er sich begab, nachdem er auf dem Tennisplatz einen Nervenzusammenbruch erlitt. Offensichtlich erfuhr die verhuschte Schwester Margot ein ähnliches Schicksal und leidet wie Richie an unerfüllter Geschwisterliebe. Margot zeigte als Bühnenautorin lange vor dem High-School-Abschluss Pulitzer-Preis-verdächtiges Talent. Doch statt zu schreiben, verharrt die begabte junge Frau in einer unglücklichen Ehe mit dem blassen Psychoanalytiker Raley St. Clair. Weder Ehemann noch Jugendfreund Eli Cash, ein erfolgreicher Autor von Western-Romanen, mit dem Margot ein Verhältnis hat, können ihre Stimmung aufhellen, erst recht nicht Bruder Chas, der als Finanzmakler reüssierte und als allein erziehender Vater von zwei kleinen Söhnen ums Überleben kämpft.
Staffage: Diese Vokabel drängt sich nach den ersten Bildern auf. So zieht sich keiner an, so richtet sich niemand ein, nicht einmal in den schrillsten Vierteln New Yorks. Es handelt es sich um ein New York, wie es sich der Wahl-New-Yorker Wes Anderson und sein Co-Autor Owen Wilson nach jahrzehntelanger Lektüre des „New Yorker“ vorgestellt haben. In der Welt von gescheiterten Genies, so haben sie offenbar gedacht, ist wirklich alles möglich. Während Richie Tenenbaums Tennishemd unter einer ordentlichen Anzugjacke gesteckt wird, soll Bruder Chas, der kürzlich seine Frau verloren hat, so wirken, als habe er bereits alle Hoffnung aufgegeben. Weshalb ihm Anderson einen roten Trainingsanzug verpasst, und nur einmal, auf einer Beerdigung, wird das Rot in ein pietätvolles Schwarz verwandelt. Es mag zwar ein bewährtes Verfahren sein, Plots um einmal erfundene Figuren zu stricken, allerdings macht hier die übertriebene Uniformierung aus den Protagonisten eindimensionale Karikaturen. Gwyneth Paltrow beweist bei allem Mut zur Hässlichkeit und bestreitet den Film mit einem einzigen, wahrlich unschmeichelhaften Gesichtsausdruck. Unter dem Dach des mit Gegenständen aus vergangenen Kindertagen voll gestopften Hauses entwickelt sich eine turbulente Handlung, in deren Verlauf Anderson von Liebesgeständnissen, Selbstmorden, Unfällen, Tod und Versöhnung erzählt und auch nicht davor zurückschreckt, zumindest versuchsweise an Tabuthemen zu rütteln. Dass Margot die vom Vater vernachlässigte (Adoptiv-)Tochter sei, wird in den Dialogen nur angedeutet, und die Geschwisterliebe zwischen Richie und Margot frei nach der Devise, was heute nicht alles missbilligt wird, abgehandelt.
Tollkühn bewegt sich die unverschämt freche Komödie entlang der Grenze zum guten Geschmack und verteilt Seitenhiebe an Reiche, Begabte, Depressive, Selbstmörder, Frauen, Schwarze und Autoren. Die Charaktere benehmen sich egoistisch und dumm und bleiben dabei nicht gleichermaßen sympathisch. Die Bemühungen des draufgängerischen Royal wirken rührend naiv und kreieren eine Mischung aus Übermut, Verlogenheit und Warmherzigkeit, während die Wunderkinder Unzufriedenheit und Enttäuschung kultivieren und Bill Murray als gebeutelter Analytiker komisch-dramatische Züge entwickeln darf. Musikalisch angereichert ist der Spaß mit zahlreichen Popsongs der 60er- und 70er-Jahre von Nick Drake über Jackson Browne bis zu Van Morrison. „She Smiled Sweetly“ von den Rolling Stones untermalt eine rührende Szene, in der Richie und Margot Händchen haltend in Richies Kinderzelt sitzen. Bemerkenswert auch die Rhythmisierung durch variierendes Tempo: Rückblenden, so die liebevoll aufgefächerten Galerien von Margots und Ethelines verflossenen Liebhabern, rasen vorbei, während Szenen, in denen sich Richie und Margot oder Royal und Etheline nahe sind, deutlich verlangsamt werden. So bereitet „Die Royal Tenenbaums“ alles in allem ein recht abwechslungsreiches Bad der Gefühle.