Das Begräbnis

Gangsterfilm | USA 1996 | 99 Minuten

Regie: Abel Ferrara

Zum Begräbnis des erschossenen jüngsten Bruders versammelt sich eine italienische Gangster-Dynastie und wird mit der eigenen hoffnungslosen Verstrickung in den Teufelskreis der Gewalt konfrontiert. Ein ungemein düsterer Film, der die Chiffren des traditionellen Gangsterfilms nutzt, um eine Tragödie klassischen Ausmaßes zu erzählen. Vielschichtig angelegt, hervorragend gespielt und inszeniert, erweitert er das Genre um eine philosophisch-theologische Tiefendimension und stellt Fragen nach der Verantwortung für das Böse, für Schuld, Gnade und Erlösung. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
THE FUNERAL
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
October Films
Regie
Abel Ferrara
Buch
Nicholas St. John
Kamera
Ken Kelsch
Musik
Joe Delia
Schnitt
Mayn Lo · Bill Pankow
Darsteller
Christopher Walken (Ray Tempio) · Christopher Penn (Chez Tempio) · Vincent Gallo (Johnny Tempio) · Annabella Sciorra (Jean Tempio) · Isabella Rossellini (Clara Tempio)
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Gangsterfilm
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Diskussion
Johnny Tempio, der jüngste Sproß einer Gangster-Dynastie, liegt aufgebahrt im Hause seines Bruders Ray. Obwohl die italienische Einwandererfamilie in der zweiten Generation den Namen zu Temple amerikanisierte, ist sie durch und durch von italienischen Traditionen beseelt. Dazu gehören Katholizismus, Familienzusammenhalt und ein tief empfundenes Ehrgefühl. Und da die Tempios, die ihr gutbürgerliches Leben mit Verbrechen und Mord sichern, gelernt haben, daß Blut Blut fordert, ist es für Ray eine Selbstverständlichkeit, daß der Tod des kleinen Bruders - er wurde beim Verlassen eines Kinos erschossen - gesühnt werden muß. Noch während Familienmitglieder, Freunde und Geschäftspartner am geöffneten Sarg kondolieren, schickt Ray seine Leute aus, um den mutmaßlichen Mörder seiner Strafe zuführen zu können.

Bis zum Morgengrauen wird die Suche dauern, Zeit genug, um in einer Fülle von Rückblenden die unheilvolle Geschichte des Hauses Tempio und die scheinbar schicksalhafte Verstrickung der männlichen Clanmitglieder in eine nicht enden wollende Serie von Gewalttaten zu beleuchten. Vom Vater, der sich später selbst richten wird, lernt Ray bereits als Kind das Gesetz der Gewalt, bestraft einen kleinen Gauner mit dem Tode. Chez, der mittlere Bruder, führt das scheinbar bürgerliche Leben eines Barbesitzers, doch er ist Dreh- und Angelpunkt im Familiengeschäft, zuständig für die vielen schmutzigen Jobs, letzter Mann, Scharfrichter. So viele schmutzige Jobs hat er bereits erledigt, daß er fast am Rande des Wahnsinns lebt, sein Temperament immer wieder mit Alkohol zu dämpfen versucht. Aber irgendwie wird seine Aggression dann doch noch schlimmer, richtet sich gegen alles und jeden. Eine Ahnung von Güte und Gnade schlummert noch in dieser bulligen Gestalt, doch immer, wenn sie ins Bewußtsein dringt, kämpft Chez sie nieder - es kann nicht sein, was nicht sein darf. Ganz anders Johnny: Die Familie läßt dem jüngsten Sproß so manches durchgehen, sein Engagement für die Gewerkschaftsbewegung, durch deren Zerschlagung die Tempios ein Teil ihres Geldes verdienen, sein Liebäugeln mit dem Kommunismus und seine zahllosen Frauengeschichten, die immer wieder Ärger einbringen.

Diesen Frauengeschichten scheint er letztlich auch seinen Tod zu verdanken. Schließlich begeht man nicht ungestraft Ehebruch mit der Frau des Intimfamilienfeindes Gaspare. Mit ihm hat sich Johnny immer wieder angelegt, nun hätte der einen triftigen Grund gehabt, um mit Johnny und den Tempios abzurechnen. Ray selbst leitet das Verhör, und obwohl er von Gaspares Unschuld überzeugt ist - schließlich blutet der Leichnam nicht -, als Gaspare seine Wunden berührt, ordnet er dessen Ermordung an. Wenig später, der Morgen dämmert, ist der wahre Täter gefunden. Ein junger Mann, dessen Freundin sich mit Johnny eingelassen hat. Er gesteht seine Tat und bittet um Gnade und eine zweite Chance, Vokabeln, die Ray gänzlich unbekannt sind. Chez obliegt es, den Leichnam zu verscharren. Müde kehrt er ins Haus seines Bruders zurück, die Begräbniszeremonie kann beginnen, doch Chez hat noch eine letzte Aufgabe zu erfüllen. Ein Ende in Blut und Tränen, der einzige Weg zur Erlösung, den die Tempios jemals kannten, ist die Folge. Chez schenkt sich und seinen Brüdern den Frieden.

Abel Ferrara, ein geistiges Schwergewicht unter den zeitgenössischen amerikanischen Regisseuren, und sein Freund und Haus-Autor Nicholas St. John zeichnen abermals das düstere Bild einer schuldbeladenen Welt, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Verderben und Tod sind vorherbestimmt, Leben bedeutet hier nicht Entwicklung, sondern Verharren in Positionen, die unweigerlich zum Tod führen müssen. Seine männlichen Protagonisten sind starren Konventionen und Traditionen unterworfen, erfüllen fast unreflektiert alle Forderungen, die die Umwelt, aber mehr noch sie selbst unerbittlich an sich selbst stellen. Heillos verstrickt in eine schier endlose Spirale von Gewalt und Schuld, haben sie die Hoffnung auf Erlösung aufgegeben bzw. verschwenden keinen Gedanken daran. Wie die Protagonisten in einem antiken Drama haben sie den Glauben an ihre freie Willensentscheidung längst verloren, wissen, daß sie dem Verderben zutreiben, reagieren nicht mehr auf Zeichen und Vermittlungsversuche, sondern agieren dumpf im Sinne eines vermeintlichen Ehrenkodexes. Dabei sind sie - das erste Mal in Ferraras Filmen - hier durchaus nicht von Gott und der Welt verlassen, sondern leben im Gegenteil in einer Atmosphäre, in der Hoffnung auf Erlösung und Vergebung gedeihen könnte, die noch nicht so ganz der Gnade verlustig gegangen ist. Gemeint sind nicht die Kruzifixe an den Wänden, nicht die Rosenkränze und die Madonnenstatuen in ihren Häusern, sie sind gut-italienische Tradition, jedoch auf den puren Gegenstand reduziert, haben für die Männer ihre übergeordnete Bedeutung verloren. Die Frauen jedoch klammern sich an diese Symbole, versuchen durch sie Stärke und Hoffnung zu schöpfen, Stärke, auch um ihren Männern entgegentreten zu können, um sie - wenn auch zaghaft und letztlich vergebens - vom Weg des Verderbens zurück ins Leben zu führen. Das Gute und die Güte leben, erdulden alle Qual und Mißachtung, beugen das Haupt und ertragen Schläge und sind bei aller Erniedrigung keineswegs bereit, ganz zu verstummen. Diese ambivalente Haltung der schwachen starken Frauen erklärt vielleicht, warum Abel Ferrara die Handlung seines Films in die 30er Jahre verlegt und damit seinen ersten "Kostüm-und Ausstattungsfilm" inszeniert hat. Heutige Frauen wären - bei gleicher Geisteshaltung - wahrscheinlich weitaus weniger duldsam, doch im historischen Kontext, schließlich stehen auch sie den Traditionen näher als der Emanzipation, wirkt ihr Verhalten durchaus überzeugend.

Nach Zeichen von Hoffnung und Zuversicht muß man schon suchen in Ferraras düsterem Film. Nur zu Beginn und am Ende scheint die Sonne, der Rest spielt sich des Nachts und in finsteren Räumen ab. Korrespondierend mit diesen äußeren Gegebenheiten zeichnet der sehr ökomonisch inszenierte Film, der durch wohlüberlegte Montage eine kaum zu beschreibende Dichte gewinnt, eine düstere, von latenter Gewalt geprägte Atmosphäre, in der sich die angestauten Aggressionen jeden Augenblick in erruptiven Gewaltausbrüchen entladen könnten. Doch Ferrara gesteht seinen Zuschauern diese Ablenkungsmomente nicht zu, entläßt sie nicht aus ihrer Beklemmung. Die Chiffren des klassischen Gangsterfilms nutzend, zieht er die Schraube von Minute zu Minute mehr an, schafft keine Spannung im traditionellen Sinne, sondern macht den Terror erfahrbar, dem seine Filmcharaktere ausgesetzt sind. Eigentlich zurückhaltend in den Gewaltszenen, versteht er es, mit den Erfahrungen des Zuschauers spielend Gewalt allgegenwärtig sein zu lassen. Ein scheinbar trautes Gespräch unter Eheleuten endet als Vergewaltigung; beim Verhör eines Verdächtigen hält Ray eine doppelschneidige Feuerwehraxt in der Hand; als der wirkliche Täter in einem Schlachthaus befragt wird, ist der einzige bewegliche Gegenstand im Raum in Entbeinmesser; die Großaufnahme eines schartigen Rasiermessers läßt den Atem stocken, ohne daß dem Gegenstand eine dramaturgische Bedeutung zukommen würde. Den religiösen Symbolen werden die des Todes gegenübergestellt, der filmische Kontext und die persönliche Erfahrung des Zuschauers ordnen ihnen ihre jeweilige Bedeutung zu. Getragen von einem hervorragenden Schauspielerensemble, in dem jeder exzellent seine Arbeit verrichtet, um sich als Mosaikstein in das düstere Puzzle einfügen zu können, ist "Das Begräbnis", ganz gewiß kein "spaßiger" Gangsterfilm in Hollywood-Manier, in dem sich Bösewichte zum wohligen Schauer des Zuschauers gegenseitig den Garaus bereiten, sondern ein sperriges Stück Kino, das von Verstrickung und Schuld berichtet, von einer Welt scheinbar ohne Hoffnung, von einem Labyrinth, hinter dessen Ecken und Verwicklungen immer wieder der gleiche Schrecken lauert - der Blick auf Seelen, die glauben, ohne Gnade zu sein.
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