Myanmar Diaries - Flaschenpost aus Myanmar
Dokumentarfilm | Niederlande/Myanmar/Norwegen 2022 | 70 Minuten
Regie: The Myanmar Film Collective
Filmdaten
- Originaltitel
- MYANMAR DIARIES
- Produktionsland
- Niederlande/Myanmar/Norwegen
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- ZIN Documentaire/Ten Thousand Images
- Regie
- The Myanmar Film Collective
- Buch
- The Myanmar Film Collective
- Kamera
- The Myanmar Film Collective
- Schnitt
- The Myanmar Film Collective
- Länge
- 70 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Hybridfilm mit dokumentarischen und inszenierten Szenen eines anonymen burmesischen Filmkollektivs über die Repression der Menschen in Myanmar nach dem Militärputsch vom 1. Februar 2021.
Zwei Jahre ist es her, dass in Myanmar die Militärs die Macht an sich rissen und seither ein Land in Terror versetzen, das gerade erst zehn Jahre relativer Demokratie erlebt hatte. Seitdem wurden Tausende Einwohner inhaftiert oder getötet. Wie das Volk dennoch gegen das Militär aufbegehrt, zeigt dieser Film des „Myanmar Film Collective“, einer Vereinigung junger Filmschaffender aus Myanmar. Zu ihrem eigenen Schutz und dem der Porträtierten wollen die zehn Kreativen anonym bleiben, denn ihre physische Unversehrtheit und sogar ihr Leben wären bei der brutalen Willkür, mit der das Regime gegen Andersdenkende vorgeht, in Gefahr.
Gewalt und Repression lassen sich freilich im digitalen Zeitalter, wo jede/r bleibende filmische Zeugnisse ablegen und verbreiten kann, nicht mehr vertuschen. Das beweist auch dieser Film, der immer wieder Handy-Kurzfilme ganz normaler Bürger einblendet. Es sind erschütternde Aufnahmen, die zeigen, mit welcher Unnachgiebigkeit das Militär und die Polizei gegen die Zivilbevölkerung vorgehen. Die sogenannten Ordnungshüter rücken in einer Stärke bis zu zehn Mann in Häusern an und verhaften Familienmütter oder -väter. Bei den meist versteckt gefilmten Interventionen hört man auch die mutigen und verzweifelten Proteste von Ehepartnern oder sogar Kindern. Immer wieder appellieren sie an das Gewissen der Beamten – vergebens.
Oft geraten die Filmenden selbst in Gefahr
Hinter Fenstern oder versteckt auf offener Straße filmen einfache Bürger die Gewalt der Staatsmacht. Mitten am Tag prügeln die Beamten auf Menschen ein oder es mischen sich Polizisten in Zivil unter Demonstranten und schlagen sie mit Stangen oder anderem schweren Gerät. Polizei und Militär sind omnipräsent, ständig heulen die Sirenen der Einsatzfahrzeuge, oft geraten die Filmenden selbst in Gefahr: Die Bilder verwackeln zusehends, manchmal werden die Aufnahmen abgebrochen. Schwer erträgliche Sequenzen zeigen Menschen, die um ihre toten Angehörigen trauen, darunter auch Kinder. Eine geradezu surreale Szene präsentiert dagegen eine junge Frau im Sportoutfit und mit Corona-Maske, die herausfordernd, aber eher vergnügt vor einer Absperrung tanzt, während sich im Hintergrund immer mehr Polizeiwagen ansammeln.
Einige der Aufnahmen waren bereits in asiatischen sozialen Medien zu sehen, allerdings nur auf Birmanisch. Damit sie auch international rezipiert werden können, wandten sich die zehn Filmschaffenden an die niederländische Produzentin Corinne van Egeraat. Sie erhielt Filmmaterial in verschiedenen Formaten, von Rohschnitten über Rohmaterial, und das Myanmar Film Collective verließ sich darauf, dass van Egeraat die Aufnahmen zu einem Film zusammenfügen würde. Denn vieles in diesem hybriden Film ist auch inszeniert oder verfremdet. Viel Platz nimmt der Strang über eine Aktivistin ein, die von den Ordnungskräften erschossen wurde, weil sie ein rotes T-Shirt zum Zeichen des Protests trug. Sie hätte sich gern ein Schmetterlings-Tattoo stechen lassen, doch dazu kam es nicht mehr.
Ihr zu Ehren werden Animationssequenzen inszeniert, in denen sich eine Raupe in einen roten Schmetterling verwandelt. Rot gefärbte T-Shirts (ob in echtes oder falsches Blut getränkt, sei dahingestellt) und ein Helm, den viele Demonstranten zu ihrem Schutz tragen, haben Symbolcharakter. Inszenierte Sequenzen zeigen auch Aktivisten in der Stadt, die an buddhistischen Schreinen beten oder sich in stiller Trauer und Verzweiflung in ihren vier Wänden aufhalten.
Existenzielle Probleme geraten fast zur Nebensache
Inszeniertes wechselt sich mit Dokumentarischem ab. Bei letzterem sieht man auch Menschen, die zum Zeichen des zivilen Ungehorsams auf ihren Balkons auf Töpfe und Pfannen schlagen oder verkünden, dass sie sich einem Streik anschließen. Viele skandieren „Ich laufe nicht weg“ und fordern die brutalen Polizisten und Soldaten heraus; manche sprechen sie direkt an oder beschimpfen sie. Einige junge Menschen werden bei paramilitärischen Übungen im Dschungel gefilmt: Sie haben sich für den bewaffneten Kampf entschieden. Auch existenzielle Probleme wie eine ungewollte Schwangerschaft oder Geldsorgen geraten angesichts der bedrohlichen Lage fast zur Nebensache.
Was man nie sieht, sind die Gesichter der Beteiligten. Entweder werden sie unkenntlich gemacht, oder es dienen Kopfbedeckungen und die Corona-Masken, die man im Handlungszeitraum von 2021 trägt, als Tarnung. So entpuppt sich „Myanmar Diaries“ als das, was der Titel verspricht: als Ansammlung von Momentaufnahmen, als wichtiges Zeitdokument über eine weitere dramatische Phase des Landes, in der keine unzensierten offiziellen Bilder produziert werden. Es sind Bilder, die mitten aus der Gesellschaft kommen und den breiten Widerstand von unten dokumentieren.
Außer in einem Einleitungstext oder am Ende (einen Abspann gibt es wegen der Anonymisierung nicht) ordnet der Film historisch nichts ein. Übergeordnete Politik bleibt außen vor, und so wird die ehemalige Präsidentin Suu Kyi genauso wenig erwähnt wie die seit Jahrzehnten unterdrückte und vor kurzem besonders brutal verfolgte und vertriebene ethnische Minderheit der Rohingya. Dennoch rüttelt der Film auf und mahnt die Zuschauer in Zeiten eines Krieges in Europa oder der Protestbewegung im Iran, dass das Streben nach Demokratie an etlichen Orten der Erde ein Kampf um Leben und Tod ist.