Rayen ist 23 Jahre alt und studiert in Santiago del Chile. Niedrige Renten, niedrige Löhne und die fortschreitende Privatisierung führen dazu, dass das Leben in der Stadt immer teurer wird. Seit einigen Jahren regt sich allerdings Widerstand gegen staatlich gelenkte Preiserhöhungen, etwa im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs. Daraus entstand eine Protestbewegung, in der Rayen von Anfang an aktiv ist. Wie viele andere junge Menschen geht sie zu den Demonstrationen, sie setzt sich gegen Polizeigewalt, gegen Tränengas und Gummigeschosse zur Wehr. Rayen kämpft ganz vorne mit, und sie ist sicher, dass ihre Generation den Lauf der Geschichte verändern kann.
Hilda lebt in Kampala (Uganda). Die Studentin hat eine Umweltinitiative gegründet und kämpft bei „Fridays for Future“ gegen die Folgen der weltweiten Klimaveränderungen. Sie ist unermüdlich tätig, steht mit Plakaten an Hauptverkehrsstraßen, organisiert Demonstrationen, leistet Aufklärungsarbeit und sammelt mit anderen Unmengen von Müll, vor allem Plastikflaschen aus verdreckten Flüssen. Hilda ist selbst ein Opfer des Klimawandels; ihre Familie musste wegen häufigen Überflutungen ihre Plantage aufgeben. Nun lebt sie in der Stadt, zusammen mit vielen anderen Farmern, denen die Existenz genommen wurde. Als Umweltaktivistin sieht sie sich dennoch ständig mit Ignoranz und Desinteresse konfrontiert.
Pepper führt ein Doppelleben, um sich selbst und ihre Familie zu schützen. Seit der Einfluss Chinas in Hongkong wächst und die Menschenrechte immer stärker beschnitten werden, ist Pepper bei den verbotenen Demonstrationen dabei. Angst und Unsicherheit sind seither ihre ständigen Begleiter; sie kämpft für Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit und läuft dabei Gefahr, verhaftet zu werden. Ein neues Auslieferungsgesetz sorgt für zusätzlichen Aufruhr. Mit diesem Gesetz könnte die Verschleppung von Bürger*innen nach China legalisiert werden.
Die Angst ist die größte Waffe gegen uns
Drei junge Aktivistinnen – drei exemplarische Lebensentwürfe von Menschen, die sich für eine bessere Zukunft engagieren. Der Dokumentarist Franz Böhm (Jahrgang 1999) startet seinen Film mit kleinen Clips, in denen die drei Protagonistinnen kurz vorgestellt werden, gefolgt von längeren Passagen über jede Einzelne, in denen ihre jeweiligen Anliegen und Beweggründe zur Sprache kommen. „Dear Future Children“ zeigt, soweit möglich, auch den Alltag der jungen Frauen, der von ständigen Spannungen, Unsicherheit und Ängsten bestimmt wird. „Ich glaube, die Angst ist ihre größte Waffe gegen uns“, sagt Pepper, und obwohl sie die anderen beiden Frauen nicht kennt, scheint es, als ob Hilda und Rayen ihr zustimmen könnten.
Im Verlauf des Films wechseln die einzelnen Schauplätze teilweise sehr abrupt; man sieht, dass sich die Polizeigewalt in Hongkong und Chile kaum unterscheidet. Dabei wird die Kamera eng mit ins Geschehen einbezogen; sie bleibt dicht an den Personen, verfolgt sie auf ihren Wegen, so dass die einzelnen Schauplätze vor allem über die drei Protagonistinnen entdeckt und erfahren werden. Totalen oder Einstellungen, die einen Schauplatz aus der Distanz in den Blick nehmen, sind eher die Ausnahme; stattdessen geht es oft mitten ins Getümmel. Teilweise wird direkt im Gedränge von Straßenkämpfen gedreht.
Der Soundtrack dröhnt manchmal allzu theatralisch, doch das passt ganz gut zu den kämpferischen jungen Frauen. Trotz der gelegentlichen Dramatik der Entwicklung bleibt genügend Zeit, um die Protagonistinnen kennenzulernen. Sie sprechen selbst über sich, über ihre Ängste und Zweifel, über Beweggründe, Hoffnungen und Befürchtungen.
Von der Weltöffentlichkeit alleingelassen
Rayen ist manchmal einfach wütend über die Ungerechtigkeit in ihrem Land. Die besonnene Hilda hofft, dass die Ignoranz und Untätigkeit in ihrem Land rechtzeitig überwunden werden können, bevor die Klimakrise endgültig die Welt beherrscht. Sie hat Angst, dass es die Zukunft, für die sie kämpft, gar nicht mehr geben könnte. Später reist sie nach Kopenhagen, wo sie als Botschafterin von „Fridays for Future“ für ihr Land eine sehr emotionale Rede hält. Pepper indes schämt sich, weil sie glaubt, dass ihre Arbeit sinnlos sei. Sie und ihre MitkämpferInnen fühlen sich allein gelassen von der Weltöffentlichkeit. Am Ende wird sie Hongkong verlassen, um an einem sicheren Ort weiter zu studieren.
Manches in diesem beachtlichen Dokumentarfilm erinnert an Spionagethriller, etwa die Verwendung von Zeitlupenaufnahmen und mancher Kamerapositionen; Peppers aufwändige Defensivausrüstung könnte sogar aus einem Actionfilm stammen. Doch hier ist alles real. Die jungen Frauen sind sympathisch und wahrhaftig – in ihrer Nachdenklichkeit, ihrer Wut und Verzweiflung, in ihren klugen, abgeklärten Statements. Diese Authentizität ist – neben dem Verzicht auf Agitation und Heroisierung – vielleicht sogar das größte Plus von „Dear Future Children“.