Dying to Tell

Dokumentarfilm | Spanien 2018 | 87 Minuten

Regie: Hernán Zin

Nach einem Unfall in Afghanistan 2012 machten dem Journalisten Hernán Zin, der 20 Jahre lang aus internationalen Kriegs- und Krisengebieten berichtete, seine dort gemachten Erfahrungen zunehmend psychisch zu schaffen, und er ging daran, Kollegen zu interviewen und sie von ihrem Umgang mit den Traumata des Jobs berichten zu lassen. In Zeugnissen, die oft wie Gesprächstherapie wirken, erzählen renommierte spanische Journalisten von ihren Einsätzen in Jugoslawien, Afghanistan, Sierra Leone und anderen Krisengebieten. Sie offenbaren ihre eigenen Ängste, die ständige Sorge ihrer zu Hause wartenden Angehörigen, sprechen aber auch von einem Zwang zur Zeugenschaft angesichts der zahllosen Katastrophen in aller Welt. Ein eindrückliches Porträt einer extremen Berufsgattung, das gleichwohl nicht aufklären kann, was seine Protagonisten letztlich antreibt, und sich in der Wahl seiner Schauplätze etwas verzettelt. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MORIR PARA CONTAR
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Contramedia/Quexito
Regie
Hernán Zin
Buch
Hernán Zin
Kamera
Ignacio Barreto
Musik
Marcos Bayón
Schnitt
Alicia Medina
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion

Um vom Krieg im untergehenden Jugoslawien zu berichten, benötigte Miguel Gil Moreno de Mora zunächst einmal sein Motorrad. Der journalistisch noch unbedarfte Unternehmensanwalt nahm sich 1993 Urlaub und fuhr aus der spanischen Heimat quer durch halb Europa. Im belagerten Sarajewo ließ er sich von Profis die Arbeit mit einer Kamera erklären und begann zu filmen. Binnen kurzer Zeit wandelte er sich zu einem von den erfahrenen Kollegen respektierten Kriegsreporter, arbeitete später für Associated Press. Bei aller Grausamkeit scheint Gil von bewaffneten Konflikten auch besessen gewesen zu sein: Später berichtete er aus dem Kosovo, ging schließlich nach Afrika, starb 2000 mit kaum 33 Jahren in Sierra Leone.

Ein Schicksal, das kein Einzelfall ist. Wer sind diese Menschen aus meist wohlhabenden Ländern, die es nach Afghanistan zieht, in den Irak, nach Syrien? Wofür setzen sie ihr Leben aufs Spiel?

Sie müssen unbedingt vom Krieg erzählen, von seinem Wesen. Von den Verheerungen, die er anrichtet. So plastisch und unscharf zugleich beantwortet Hernán Zin diese Fragen im Titel seiner Netflix-Dokumentation „Morir para contar“ („Dying to Tell“) – ins Deutsche nicht recht übersetzbar, da „Dying to“ auch ausdrückt, etwas kaum erwarten zu können. Doch als lebensmüde zeichnet Zin, einst selbst Kriegsreporter, seine ehemaligen Kollegen nicht. Als Besessene und Traumatisierte schon. So verwundert es  nicht, dass die ausnahmslos von spanischen Journalisten gewonnenen Zeugnisse wie Therapiestunden wirken.

„Die Angst ist ein Abwehrmechanismus. Sie sagt dir: Du solltest nicht hier sein.“

In perfekt ausgeleuchteten Studios berichten die Frauen und Männer unterschiedlicher Reportergenerationen von ihren Gefühlen. Von ihren Familien, die im scheinbar sicheren Zuhause in pausenloser Sorge um sie lebten. Von den Beziehungen, die darüber in die Brüche gingen. „Die Angst ist ein Abwehrmechanismus. Sie sagt dir: Du solltest nicht hier sein.“ Wie ein Hammer schlage sie immer wieder auf den Kopf. Ähnlich wie Militärveteranen, die ihre Kriegserlebnisse nicht aus dem Kopf bekommen, haben die Journalisten Schwierigkeiten mit der Normalität. Eben noch unter Artilleriebeschuss oder als Geisel einer Bürgerkriegspartei (verwackelte Archivbilder künden davon); dann wieder der sichere, aber ereignisarme Alltag zwischen Supermarktregalen und mit fließendem Wasser.

Politische Zusammenhänge fehlen völlig in diesem Film, und das sollen sie wohl auch. Vom letzten Irakkrieg ist viel die Rede, vom absichtlichen Beschuss des Hotel Palestine durch amerikanische Panzer 2003, dem der Spanier José Couso zum Opfer fiel. Bisweilen erzählen die Reporter von Extremsituationen: „Mit ein oder zwei Leuten lässt sich reden, doch als Menge können sie dich lynchen.“ Eine junge Journalistin spricht von sexueller Gewalt in Ägypten. Auch die in Europa kaum beachteten Katastrophen im Kongo oder in Sierra Leone – „Afrika zieht nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich“ – kommen vor. Hungerbäuche von Kindern stehen als Fanale menschlichen Leidens neben den todgeweihten IS-Geiseln in Syrien – deren Martyrium die Dokumentation auf fragwürdige Weise zur Schau stellt.

So halst sich Hernán Zin in „Dying to Tell“ am Ende ein bisschen zu viele Schauplätze, zu viele Konfliktherde auf, um über eine vage Anti-Kriegs-Botschaft hinaus dem Zuschauer weitere Reflexionen zu ermöglichen. Und so eindrücklich die Einblicke in das Seelenleben der Reporter auch sind: Was sie jenseits ethisch fundierter Pflicht zur Zeugenschaft wirklich immer wieder an die Kriegsschauplätze treibt, wo sie wie Miguel Gil Moreno de Mora sterben könnten, das kann der Film nicht erklären. 

Kommentar verfassen

Kommentieren