Ein liegengebliebenes Wohnmobil im Nirgendwo. Ein junger Mann, der vergeblich nach Hilfe sucht und schließlich seinen Frust in die Nacht brüllt. Und ein anderer, der das alles misstrauisch beobachtet, als wenn ihm diese Vorsicht schon zur zweiten Natur geworden ist. „Roads“, die fünfte Regiearbeit von Sebastian Schipper, beginnt an der nordafrikanischen Mittelmeerküste. Man kennt diese Bilder, ist auch im Kino inzwischen vertraut mit Schicksalen von Menschen, die in einer ihnen feindlich gesinnten Welt nach Europa wollen.
Da prallen also, könnte man meinen, wieder mal Gegensätze aufeinander: hier Gyllen, weißes Wohlstandskind aus London und mit dem „entliehenen“ Camper seines Stiefvaters unterwegs. Dort William aus dem Kongo, der zu Fuß schon einen langen Weg hinter sich und mit dem Mittelmeer ein schier unüberwindbares Hindernis vor Augen hat. Die Zuschreibungen sind schnell im Kopf: der europäische Tourist, der afrikanische Flüchtling. Aber das ist zu einfach gedacht und auch nicht die Geschichte, die Sebastian Schipper in seinem Film erzählt.
Migration, die Tatsache, dass so viele Frauen, Männer und Kinder derzeit in Europa eine neue Heimat suchen, ist die Folie, vor der die Geschichte von „Roads“ spielt. Dieses Thema, so leidvoll und überfordernd es ist, ist ein Charakteristikum unserer Gegenwart. In einer Zeit, in der Waren, Informationen, Gelder international fließen können und sollen, schotten sich Länder zunehmend ab, werden nationale Grenzen wieder wichtig, bleiben Menschen draußen.
Zwei junge unvoreingenommene Menschen
Das alles ist auch im Film durchgehend zu spüren, aber es steht nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es um Gyllen und William – zwei junge Männer, die völlig unterschiedliche Hintergründe, Erfahrungen und Perspektiven haben, aber auch eine ganz große Gemeinsamkeit: Beide sind 18 Jahre alt und begegnen einander mit einer Unvoreingenommenheit und Offenheit, die einem in diesem Alter zu eigen oder noch nicht abhandengekommen ist.
Gyllen sieht in William nicht zuerst einen „Flüchtling“, sondern einen jungen Typen in seinem Alter, der ein Chelsea-T-Shirt trägt, vielleicht Lust auf ein Bier hat und ihm womöglich helfen kann. „Willst du mit?“, fragt Gyllen ihn schließlich, als der Wagen wieder läuft, doch der lehnt erst einmal ab, bis sie der Zufall wieder zusammenführt.
„Roads“ ist ein Road Movie, geradezu klassisch erzählt. Los geht es in Marokko. Das Ziel ist Frankreich, wo Gyllen seinen leiblichen Vater überraschen und William nicht Asyl, sondern seinen Bruder suchen will. Dass es für den jungen Kongolesen ungleich schwieriger ist als für seinen englischen Verbündeten, in Ceuta die Grenze nach Spanien zu passieren, liegt auf der Hand. Doch die beiden schlagen sich durch. Sie treffen einen hinterlistigen Hippie, feiern mit jungen Spaniern, streiten sich mit einem fremdenfeindlichen Fritten-Verkäufer und treffen auf Leute, die angesichts des humanitären Notstands in Calais, der im Film geradezu dokumentarisch festgehalten wird, nicht die Augen verschließen, sondern helfen, wo sie nur können.
Die Magie einer wachsenden Freundschaft
Das Wichtigste aber ist, dass auf ihrer langen Reise etwas passiert, von dessen Magie Sebastian Schipper in seinen Filmen immer wieder erzählt und dem in "Roads" eine große Hoffnung innewohnt: Gyllen und William freunden sich an. Es ist die Art Freundschaft, die man nicht erklären muss, die keinem Zweck dient. Sie ist einfach da, so wie zwischen Floyd, Ricco und Walter in „Absolute Giganten“ (1999) oder wie zwischen Sonne, Boxer, Blinker und Fuß in „Victoria“ (2015). Und es ist eine Freundschaft, in der man nicht cool, taff, kernig sein muss, sondern in der man sich zu erkennen gibt.
Schipper ist ein zärtlicher Erzähler und er traut seinen jungen Protagonisten Gefühle zu. Das ist berührend, wenn nicht gar beglückend. Gyllen und William, absolut überzeugend von Fionn Whitehead und Stéphane Bak verkörpert, müssen ihren Weg erst noch finden, und auf ihrer Fahrt nach Calais geht der eine oder andere Traum über Bord. Aber man weiß am Ende auch, dass sie jemanden gefunden haben, der auf irgendeine Art immer da sein wird.