Politthriller | Italien 2017 | 424 (8 Episoden) Minuten

Regie: Giuseppe Gagliardi

Fortsetzung der italienischen Polit-Serie „1992“, in der nach dem Zusammenbruch des „Systems der schwarzen Kassen“ und der mit ihm verbundenen korrupten Polit-Kaste empörte „Wutbürger“ und zynische Demagogen ins Zentrum rücken, während der Medienmogul Silvio Berlusconi im Hintergrund die Fäden zieht. In acht Folgen skizziert die spannende Serie das Schicksal eines losen Verbunds aus Richtern, Politikern, Industriellen und Polizisten, deren Beziehungen lange im Dunkeln bleiben, während wichtige zeitgeschichtliche Informationen immer wieder kurz rekapituliert werden. Das abgründige Sittengemälde glänzt durch eine enorme Detailversessenheit bei Kostüm, Maske und der Filmmusik. Inhaltlich fokussiert die Serie auf den Aufstieg der Rechtspopulisten, die wachsende Macht der Massenmedien und die Verführbarkeit der Eliten. – Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
1993
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Wildside
Regie
Giuseppe Gagliardi
Buch
Alessandro Fabbri · Gianluca Bernardini · Giordana Mari · Ludovica Rampoldi · Stefano Sardo
Kamera
Michele Paradisi
Musik
Davide Dileo
Schnitt
Stefano Mariotti · Claudio Misantoni · Francesca Calvelli
Darsteller
Stefano Accorsi (Leonardo Notte) · Guido Caprino (Pietro Bosco) · Miriam Leone (Veronica Castello) · Domenico Diele (Luca Pastore) · Tea Falco (Bibi Mainaghi)
Länge
424 (8 Episoden) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
– Sehenswert ab 16.
Genre
Politthriller | Serie
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Polyband (16:9, 2.35:1, DD5.1 ital./dt.)
Verleih Blu-ray
Polyband (16:9, 2.35:1, dts-HDMA ital./dt.)
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Diskussion
Rom, am 30. April 1993. Der ehemalige italienische Ministerpräsident Bettino Craxi ist schwer angezählt. Auf offener Straße und inmitten bürgerkriegsähnlicher Szenen zwischen Polizisten, Medienvertretern und dem aufgebrachten Straßenmob wird der Politiker mit Lira-Münzen beworfen. „Vergogna!“ ( „Schande“), rufen ihm die Menschen lautstark hinterher, als er abgeführt wird. Das System schwarzer Kassen in den Schmiergeld-Metropolen Mailand und Rom ist ins Wanken geraten; im römischen Parlament ist der Kampf um völlig neuartige politische Konstellationen vollends entbrannt. Das ist ein bildstarker Einstieg in den Serienkosmos von „1993 – Jede Revolution hat ihren Preis“, der zweiten Aufarbeitung der Mailänder „Mani pulite“-Aktionen nach den zehn Episoden von „1992 – Die Zukunft ist noch nicht geschrieben“, die Italien Anfang der 1990er-Jahre erschütterten. Während der erste Serienzyklus sich vor allem auf den Untergang des alten Systems und den Aktionseifer der Mailänder Richter konzentrierte, haben in „1993“ empörte „Wutbürger“ dem Staatsapparat wie der korrupten Politikerkaste offen den Krieg erklärt. Unterstützt durch die zeitgleich beginnende Mediendemokratie, die der blitzgescheite Mailänder Großunternehmer Silvio Berlusconi (Paolo Pierobon) als zeitgemäße „Jago“-Figur und baldiger „Forza Italia“-Kandidat aus dem Hintergrund steuert, zählen in diesen alles umwälzenden Monaten einzelne Gesten und clevere Marketingstrategien deutlich mehr als Erfolge im Parlament. Dafür haben die Serienmacher um Giuseppe Gagliardi (Regie) und Alessandro Fabbri, Stefano Sardo und Ludovica Rampoldi (Drehbuch) ein überzeugendes Schauspielerensemble zusammengestellt. Im Zentrum der überaus spannenden Serie agiert erneut ein relativ loser Verbund aus Richtern, Politikern, Industriellen und Polizisten. Zu ihnen gehört der durch eine Blutkonserve an Aids erkrankte Luca Pastore (Domenico Diele), der die kriminelle Energie der Pharmabranche zu spüren kommt, als er in dieser Angelegenheit ermittelt. Ein anderer Erzählstrang rankt sich um das Schicksal des raubeinigen Ex-Soldaten Pietro Bosco (Guido Caprino), der drogensüchtig aus dem Irak zurückgekehrt ist und nun in der „Lega Nord“ sein persönliches wie sein politisches Heil sucht. Parteiintern hängt er sein Fähnchen nach Bedarf in den Wind: Hauptsache, ein Konkurrent wird ausgestochen! In einer emotional besonders aufrüttelnden Szene wünscht er die Vertreter des politischen Establishments aus Christdemokraten (DC) und Sozialisten (PSI) öffentlich an den Galgen, wozu er überaus unappetitlich, aber extrem medienwirksam einen echten Galgenstrick im paralysierten Parlament umherschwingt. Das ist nur eine von vielen eindrücklichen Szenen aus einem abgründigen Sittengemälde der jüngeren italienischen Zeitgeschichte, in der aus heutiger Perspektive viel über den Aufstieg des Rechtspopulismus und die Macht der Massenmedien erzählt wird. Es geht aber auch um das schwierige Verhältnis zwischen alternden Machos und jungen Karrierefrauen, die bedingungslos ihre Chance und die Nähe zur Macht suchen. Das (zwischen-)menschliche Spektrum von „1993“ bündelt sich insbesondere im Werdegang von Veronica Castello (Miriam Leone), einem Starlet, das nicht nur optisch an Berlusconis Ex-Frau Veronica Lario erinnert oder auch an die Karriere von „Scicciolina“ alias Ilona Staller zwischen Pornoindustrie und Parlament denken lässt. Innerhalb acht kurzweiliger Episoden geht sie quasi mit jedem ins Bett, wenn es für ihr Fortkommen beim Fernsehsender Rai oder in der „Forza Italia“ förderlich ist. Überdies nimmt sie die Bettgeschichten heimlich auf – man kann ja nie wissen, wozu diese Videotapes einmal gut sein können. Ein weiterer Pluspunkt der mit überraschenden Wendungen nicht geizenden Serie, die in puncto Fallhöhe den Vergleich mit „House of Cards“ nicht scheuen muss, ist die enorme Detailversessenheit bei Kostüm, Maske und Filmmusik, die ausschließlich aus Titeln des Jahres 1993 besteht (unter anderem mit Songs von The Smashing Pumpkins, Pearl Jam oder The Beloved). Natürlich schadet es bei all den schillernden Partei- und Industriellenfiguren, die nicht durchweg, aber sehr häufig der politischen Realität des Landes (z.B. Umberto Bossi oder Antonio di Pietro) entnommen sind, keineswegs noch einmal kurz die wichtigsten historischen Ereignisse dieser turbulenten 1990er Jahre in Italien zu rekapitulieren. Aber auch ohne großes Vorwissen nimmt das Szenengewitter gefangen, weil „1993“ mit dem Ex-Kommunisten und erfolgreichen Werbe-Profi Leonardo Notte (Stefano Accorsi) über einen der besten Seriencharaktere der letzten Jahre verfügt. Accorsi, der die Ursprungsidee für die beiden Serien beisteuerte, verkörpert den galanten Königsmacher wie eine Shakespearesche Tragödienfigur. Genau wie sein direktes Umfeld, giert er zwischen allen politischen Fronten vor allem nach Geld, Karriere und schönen Frauen, ohne je überzeichnet zu wirken. Um ihn herum wurde eine einprägsame Welt erschaffen, in der sich ständig neue Unwägbarkeiten auftun und die tatsächlichen Beziehungen der Protagonisten lange im Dunkeln bleiben. So steigt die Zahl der Verhaftungen wie die der Selbstmorde unter bestochenen Politkern drastisch an. Die Bomben der Mafia detonieren, während sich im Untergrund die Neofaschisten und Kommunisten neu formieren, um ihren Einflussbereich auszuweiten. Dramaturgisch wie thematisch beweist die hervorragende Inszenierung, dass inzwischen längst nicht nur US-amerikanische, israelische oder skandinavische Serien die Mechanismen der Macht und der Verführbarkeit der Eliten eindrucksvoll erzählen können. In „1993“ wird die düstere, zynische Seite Italiens offengelegt, wenige Monate, bevor die Stunde des „Il Cavaliere“ schlägt, auch wenn sich Silvio Berlusconi nie als besonders ritterlich hervorgetan hat, was man nicht nur aus dieser (fiktiven) Geschichte entnehmen kann. Deshalb hätte diese Serie alternativ auch „Eine Hand erpresst die andere“ heißen können – mit dem Mailänder Medienzaren als größtem Drücker.
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