„Dieses ist das erste Vorgefühl des Ewigen: Zeit haben zur Liebe.“ Ein Zitat des Dichters Rainer Maria Rilke steht vorneweg, gefunden in seinem Schmargendorfer Tagebuch. Es geht um die Geduld und Beharrlichkeit, die die Liebe mitunter einfordert. Und es geht um die Liebe selbst, als überwältigendes Gefühl, als Lebenssinn. Für einen Film von Hans Weingartner ist das zunächst überraschend. Denn in Dramen wie „Die fetten Jahre sind vorbei“
(fd 36 796) oder „Die Summe meiner einzelnen Teile“
(fd 40 898) hatte er sich um ganz andere Dinge gekümmert, vor allem um den Kampf um Freiheit in einer repressiven Gesellschaft. Weingartner nennt auch nicht Rilke, sondern Richard Linklater als Inspiration, „Slacker“ (1989) und „Before Sunrise“
(fd 31 270), bei dessen Dreharbeiten Weingartner als Produktionsassistent fungierte. Julie Delpy und Ethan Hawke kamen sich damals im Zug näher; hier ist es ein Wohnmobil Baujahr 1982, das wie eine Zeitmaschine fungiert: Draußen, das ist das Jahr 2017, aber drinnen, da sind nur zwei Menschen, für die Zeit und Raum jegliche Bedeutung verloren haben.
Zunächst lernt man die 24-jährige Jule kennen, die in Berlin Biologie studiert. Die Fragen in der Prüfung sind eigentlich gar nicht so schwer. Doch Jule hat sich nicht vorbereitet; sie legt sich mit dem Professor an und fällt prompt durch. Jule ist schwanger, ihr Freund Alex, der aktuell in Portugal lebt, weiß davon noch nichts. Parallel dazu begegnet man Jan, ebenfalls 24. Der erfährt gerade, dass er aus vorgeschobenen Gründen kein Stipendium erhält. Mit dem geplanten Politikstudium ist es damit erstmal vorbei. Das wäre die Gelegenheit, nach Spanien zu reisen, um endlich seinen leiblichen Vater kennenzulernen. Als die Mitfahrgelegenheit nicht klappt, versucht er sein Glück als Anhalter. Jule nimmt ihn im Wohnmobil mit, dem titelgebenden Mercedes 303. Sie ist auf dem Weg nach Portugal. Beide sind sich sofort sympathisch, sie reden über vieles, der Gesprächsstoff geht nicht aus. Doch dann macht Jan eine unbedachte Bemerkung und landet wieder auf der Straße. Der Zufall führt sie einige Kilometer später aber wieder zusammen. Das muss doch etwas zu bedeuten haben, und so reisen sie gemeinsam weiter, nach Frankreich und darüber hinaus.
Ein Road Movie, bei dem Mann und Frau sich auf engem Raum näherkommen, sich aufeinander einlassen und über Gott und die Welt reden. Es geht um den Neandertaler und sein Aussterben, um Politik und die Nachteile des Konsums, um die Liebe und die wichtigen drei Sekunden vor dem ersten Kuss, wenn man weiß, dass es gleich passieren wird. „Die Harten in den Garten und die Zarten in den Teich – das sagt schon Darwin“, stellt Jan die Bedeutung der Evolution heraus. Weshalb dann ein Pfau überlebe, der außer seinem schönen Gefieder, das er bei der Balz zum Rad schlägt, nichts zu bieten habe, kontert Jule zurück. Und wenn ein Argument mal nicht sticht, darf es auch sarkastisch werden: „Da kauf’ ich mir eine ‚Brigitte’, da steht das auch drin!“
Das Schöne an diesen Dialogen ist, dass sie so ungekünstelt wirken, spontan und offenherzig. Die Darsteller Mala Emde und Anton Spieker verleihen ihnen eine Leichtfüßigkeit und Natürlichkeit, die oftmals improvisiert wirkt. Doch Weingartner ist kein Regisseur, der etwas dem Zufall überlässt. Die Dialoge sind über Jahre hinweg entstanden und vom Drehbuch nach sorgfältiger Recherche vorgegeben, die Schauspieler haben sie in einer langen, intensiven Probezeit verinnerlicht.
Nicht immer geht das gut: Der Selbstmord von Jules Bruder, Jans unbekannter Vater und Jules Schwangerschaft, für die der Film eine absurde Überraschung bereithält, nehmen dem Film etwas von dem Ungestüm, das Linklaters „Before Sunrise“ auszeichnete. Trotzdem macht „303“ Freude. Hier verlieben sich zwei Menschen. Man schaut ihnen gerne dabei zu. Beides braucht Zeit; der Film dauert 140 Minuten. Womit man wieder bei Rilke wäre.