„Madame“ ist die nach „Je vais te manquer“ (2009) zweite Regiearbeit der in Paris geborenen Amanda Sthers und ihr erster Film in englischer Sprache. Um einiges bekannter ist Sthers als Autorin feiner Frauenromane. Diese tragen Titel wie „Die Geisterstraße“, „Schweine züchten in Israel“ oder „Der Gesang der Zikaden“ und handeln von weiblichen Befindlichkeiten, Familien- und Beziehungsgefügen, nicht selten von der Liebe. Schwergewichtig ist diese Literatur nicht. Auch „Madame“ ist der Heiterkeit verschrieben. Nach Sthers’ Worten handelt es sich dabei um eine „Cinderella“-Story für Erwachsene.
Die subtil bissige Gesellschaftskomödie ist eine großartige Gelegenheit für Rossy de Palma, auf der Leinwand unerschrocken frech und zugleich sensibel zu glänzen. Die Rolle der spanischen Hausangestellten Maria, die Bescheidenheit in Person, ist ihr wie auf den Leib geschrieben. Sie arbeitet im Haushalt des neureichen Amerikaners Bob Fredericks (Harvey Keitel) und seiner um etliche Jahre jüngeren, zweiten Frau Anne (Toni Collette). Die beiden sind vor einigen Wochen von New York nach Paris gezogen. Das Appartement ist schick, man will sich gesellschaftlich etablieren und mit einem Dinner im erlesenen Kreis den Einstand feiern. Kurz vor dem Eintreffen der Gäste aber schneit unerwartet Bobs Sohn aus erster Ehe herein. Selbstverständlich lädt man ihn zum Mitdinieren ein. Doch nun stehen unglücksbringende dreizehn Gedecke auf dem Tisch, was der abergläubischen Anne entschieden gegen den Strich geht. Kurzentschlossen bittet sie Maria, für eine weitere Person aufzudecken und in die Rolle einer Geladenen zu schlüpfen. Sie soll eine katalanische Adelige mimen, still dasitzen, mysteriös lächeln, speisen und schweigen.
Doch so adrett und bescheiden Maria für gewöhnlich auftritt, steckt doch auch eine Spanierin mit glühendem Temperament in ihr. Sie kann einfach nicht stumm dasitzen. Charmant-witzig und locker unterhält sie die Gästeschar und angelt sich prompt einen Verehrer: den Kunsthändler David, einen Engländer alten Adels, weit über Marias Stand. Anne ist entsetzt und bedeutet Maria, einen frühen Abgang zu machen. Doch Maria hat David bereits ihre Telefonnummer verraten. Auch hat sie keine Lust, den Flirt nach einem Abend auf Eis zu legen; zu groß ist die Verlockung, an den Privilegien der oberen Zehntausend ein bisschen teilzunehmen, selbst wenn, wie Anne bissig bemerkt, Manolo Blahnik keine High Heels der Größe 43 herstellt.
Da Anne mit David nicht nur freundschaftlich, sondern auch geschäftlich verbunden ist, sind ihr die Hände gebunden: Sie kann weder Maria einfach entlassen, noch den Kontakt zu David abbrechen. So nimmt diese unstatthafte Tändelei ihren Verlauf und entwickelt sich immer mehr zum frech um die Ecke gedachten und unterhaltsam anzusehenden Trug- und Verwechslungsspiel, das scharf beobachtend den Dünkel der Upper Class ins Zentrum rückt. Dabei wird nicht etwa auf die Klassenunterschiede fokussiert; es bleibt vielmehr bis zum Schluss unklar, ob David um die wahre Identität seiner Angebeteten nicht längst weiß. Allerdings beginnt sich das Verhältnis zwischen Anne und Maria zu verändern.
Wie Rossy De Palma als Maria ist auch Toni Collette als neureiche Aufsteigerin gut besetzt. Mit aufkeimender Angst, ja fast schon Panik, verfolgt die sich anfänglich kollegial-freundschaftlich gebende Herrin, wie unbeschwert ihre Angestellte, der man nicht mal Hochstapelei vorwerfen kann, mittels der Beziehung die gesellschaftliche Leiter hochklettert und dabei ihre intimsten Geheimnisse kennt.
In manchen Punkten, etwa der arg stereotypen Zeichnung der männlichen Figuren, ist der Film nicht ganz ausgegoren; auch ist der erste, als Huis-Clos-Komödie angelegte Teil atmosphärisch markant dichter als der etwas ausfransende zweite Teil. Doch das Spiel mit den Versatzstücken des Aschenbrödel-Stoffs gelingt souverän. Und auch das Ende ist zum Glück nicht ganz dem Märchen verhaftet, sondern eher der Realität verpflichtet, wo Reiche reich und Arme arm bleiben, solange die Vermögenden nicht über ihren Schatten springen.