Es ist natürlich kein Zufall, dass der Kater Moses heißt, so wie es in „Kater“, dem zweiten Langfilm des österreichischen Regisseurs Händl Klaus, ohnehin keine Zufälle gibt.
Andreas und Stefan leben in vollendeter Harmonie am Rande von Wien, in einem schönen alten Haus mit großem Garten und netten Nachbarn. Sie arbeiten beide bei demselben Orchester, der eine als Musiker, ein Hornist, der andere als Disponent. Sie teilen diese Leidenschaft für die Musik, eine Berufung. Im Film gibt es keinen Soundtrack; die Musik wird entweder selbst gespielt oder von den beiden gehört. Sie kochen gerne, auch für ihre Freunde aus dem Orchester. Und sie laufen im Haus gerne nackt umher, haben viel Sex. Liebe, Körperlichkeit, Intimität sind ganz selbstverständlich Teil dieser intakten, idealen Liebesbeziehung. Dass es in österreichischen Filmen nur „Verzweiflungssex“ zu sehen gäbe, wie eine österreichische Filmkritikerin einmal anmerkte, wird hier Lügen gestraft.
Kater Moses, ein ansehnlich getigertes Exemplar und ein bisschen der Kindersatz des Paares, streicht durchs Haus, lässt sich liebkosen, reckt und streckt sich, leckt sich die Pfoten, wird von beiden geliebt. Eine gute halbe Stunde entfaltet sich das Idyll. Ein befreundeter Kollege, ein introvertierter Musiker, der eine eher unglückliche schwule Beziehung lebt, darf den beiden beim Sex zuschauen, am Glück partizipieren. Hier wird, was im Kino immer noch selten ist, eine schwule Beziehung gezeigt, ohne dass die Homosexualität selbst Thema ist oder irgendwie problematisiert wird.
Doch dann folgt die hässliche Peripetie. In einem soziopathischen Moment dreht Stefan dem Kater den Hals um. Alles, was vorher zu sehen war und alles, was jetzt folgt, wird zur Versuchsanordnung.
Im Vorspann von „Kater“ sind Bilder zu sehen, die im Wiener Rundfunkhaus hängen, im Probenraum des Orchesters: idyllische, idealisierte, paradiesische Szenen. Im Garten findet Stefan eine Schlange. Sie ist versteinert. Ein Apfel darf auch nicht fehlen. Der Regisseur spielt vergnügt mit biblischen Symbolen und untersucht, was nach der Vertreibung aus dem Paradies passiert.
Kann eine Beziehung, eine Liebe, dem Sündenfall standhalten? Ihn aushalten, integrieren, verdrängen? Das scheint zunächst nicht der Fall. „Kater“ verweigert sich konsequent psychologischen Erklärungen, gibt keine Diagnosen. Stefan erzählt zwar, dass er zu einem Psychologen geht und auch, was er mit ihm bespricht, wobei einige Fachbegriffe fallen. Doch es dominiert die Ratlosigkeit. Der Regisseur zielt auf etwas Exemplarisches: Der Sündenfall ist für ihn offenkundig etwas, das jedem passieren kann. Oft trennen uns nur Augenblicke von einer Unbedachtheit, von einem Moment der Anarchie, der Konventionsüberschreitung.
Die beiden Schauspieler Lukas Turtur (Stefan) und Philipp Hochmair (Andreas) gehen fast dokumentarisch in ihren Figuren auf; selten stimmt in einem Film die Chemie zwischen den Darstellern in einem solchen Maße. Nach dem Bruch verleihen sie dem langjährigen Paar ein neues Gesicht. Nun regiert die Verunsicherung, auf beiden Seiten, die unterdrückte Wut, die Angst.
„Kater“ wird zum ungewöhnlichen, ungeheuer vielschichtigen Thriller. Was nach der überraschenden Wende zwischen den beiden Liebenden passiert, ist atemberaubend spannend. Andreas schützt Stefan zwar nach außen, der Katzentod wird zu ihrem Geheimnis. Aber das macht alles nur noch schlimmer. Andreas kann sich nicht vorstellen, wieder mit Stefan zu schlafen, überhaupt körperlich zu werden. Damit bricht eine wichtige Säule der Beziehung weg. Vielleicht können sie deshalb auch nicht mehr miteinander reden – weil ihnen diese Sprache fehlt. Im Glück war Ravel zu hören, jetzt, in der Verzweiflung, sucht Stefan Halt in Bachs Aufgeräumtheit.
Schließlich bekommen die netten Nachbarn eine neue Katze, sie wollen, dass Stefan und Andreas sich des Tieres annehmen, wenn sie im Urlaub sind. Ist Stefan noch zu trauen? Traut er sich selbst?