Der Briefwechsel zwischen den Lyrikern Ingeborg Bachmann und Paul Celan aus den Jahren 1948 bis 1967 wird zum Dokument einer komplizierten, heftig umkämpften Liebe und Freundschaft. In einer essayistisch-experimentellen Annäherung tragen die Musikerin Anja Plaschg und der Schauspieler Laurence Rupp im Wiener Funkhaus aus der Korrespondenz vor. Dabei geht der ebenso präzis montierte wie klug verdichtete Film über die Erzählung einer komplizierten Liebe und Freundschaft und das Ringen um Worte weit hinaus und holt den Text nicht zuletzt über verschiedenste Metaebenen in die Gegenwart.
- Sehenswert ab 16.
Die Geträumten
Dokumentarfilm | Österreich 2016 | 92 Minuten
Regie: Ruth Beckermann
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- DIE GETRÄUMTEN
- Produktionsland
- Österreich
- Produktionsjahr
- 2016
- Produktionsfirma
- Ruth Beckermann Filmprod.
- Regie
- Ruth Beckermann
- Buch
- Ina Hartwig · Ruth Beckermann
- Kamera
- Johannes Hammel
- Schnitt
- Dieter Pichler
- Darsteller
- Anja Plaschg (Ingeborg Bachmann) · Laurence Rupp (Paul Celan)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- 27.10.2016
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Annäherung an den Briefwechsel der Lyriker Ingeborg Bachmann und Paul Celan
Diskussion
„Bete drum, daß wir die Worte finden“, schreibt Ingeborg Bachmann im November 1959 in einem Brief an Paul Celan. Und schickt per Telegramm eilig hinterher: LASS UNS DIE WORTE FINDEN. Wie die Liebe ist auch die Sprache keine leichte Sache für die beiden Nachkriegslyriker, deren Biografien so schwer miteinander verträglich sind – Bachmann ist die Tochter eines frühen österreichischen NSDAP-Mitglieds, Celan, ein staatenloser Jude aus Czernowitz, hat seine Eltern in einem Konzentrationslager verloren. Der fast 20 Jahre umfassende Briefwechsel (1948-1967) des bis auf zwei sehr kurze Liebesphasen verunmöglichten Paares ist schmerzhaft zu lesen: immer heftig im Ton, dabei abwechselnd sehnsüchtig, glückselig, zweifelnd, vorwurfsvoll, bitter. Dem anderen nah und dann wieder auf erschütternde Weise entfremdet.
In Ruth Beckermanns Film trifft das Paar Bachmann/Celan auf ein anderes, gegenwärtiges: In einem Studio im Wiener Funkhaus lesen die Musikerin Anja Plaschg und der Schauspieler Laurence Rupp aus der Korrespondenz vor. Perspektiven und Einstellungsgrößen wechseln. Mal ist die ruhige, wie mit dem Text atmende Kamera ganz nah dran an den Gesichtern, die sprechend oder zuhörend gezeigt werden: Man registriert jede Regung, jeden feuchten Schimmer in den Augen, man hält sich fest an der markanten geometrischen Stufe in Plaschgs Kurzhaarfrisur. In den Totalen treten die Schauspieler mit dem Raum in Beziehung, die Aufmerksamkeit verlagert sich von der Beschreibung einer radikalen Binnensicht mehr zum Dialogischen, zur Figurenkonstellation. Die Welt des Texts öffnet sich, Briefwelt und die Gegenwart der filmischen Aufnahme werden zu einer offenen Parallelerzählung.
Der unter dem Titel „Herzzeit“ herausgegebene Briefwechsel von Bachmann/Celan zählt 196 Briefe, der letzte ist im Juli 1967 datiert, von Celan an Bachmann, der Ton ist da schon sehr heruntergekocht, fast formell. Viele Briefe, die sich die beiden über die Jahre schrieben, wurden erst gar nicht abgeschickt, es gab lange Phasen des Schweigens. Zwangsläufig muss der Film verdichten, auch „dialogisierend“; doch in seiner klugen Dramaturgie, die Genauigkeit mit der notwendigen Ruhe und Bedachtheit verbindet, bekommt auch die spezifische Zeitlichkeit der schriftlichen Korrespondenz ihren Platz: in den Pausen, im Nachklingen der Worte, in den Blicken der Vortragenden, die eben nicht nur an den anderen adressiert sind, sondern sich mitunter ganz nach innen richten.
Ruth Beckermann verschränkt verschiedenste Ebenen: die Erzählung einer komplizierten, heftig umkämpften Liebe und Freundschaft, den Blick auf das Sprachmaterial – seine Präsenz, sein Klang, sein Rhythmus –, das Dokument der Vortragssituation selbst, einschließlich seines „Making of“. Man sieht Plaschg und Rupp rauchend auf der Treppe des Hinterausgangs, in der Kantine sitzend, verfolgt, wie sie sich in die Orchesterprobe eines Stücks von Wolfgang Rihm schleichen und über die Motive eines nicht abgeschickten Briefs reflektieren. In einer schönen Szene liegen sie auf dem Boden des Funkhauses und hören mit dem Mobiltelefon James Browns „This Is a Man’s World“. Rupp wirkt auf sympathische Weise leicht verpeilt, ein wenig unsicher, Plaschg ist ernster, stärker von der Sprache affiziert. Nicht zuletzt ist „Die Geträumten“ auch ein Film über verschiedene Weisen des Textzugangs und des Vortragens: Rupp schauspielert beim Lesen, wie das Theaterschauspieler gerne tun, er hat so seine Technik. Plaschg scheint mitunter fast durchlässig für den Text, sie lässt sich mitreißen und umhauen, manchmal ist es ihr auch einfach zu viel: „Jetzt aufhören bitte.“
Kommentar verfassen