Die Insel, auf die es den Australier Tom Sherbourne Anfang der 1920er-Jahre verschlägt, trägt den Namen des Gottes Janus. Wie der doppelköpfige Wächter von Ursprung und Ende blickt auch Tom als neuer Leuchtturmwärter auf eine Vergangenheit zurück, die von vier Schreckensjahren als Soldat im Ersten Weltkrieg geprägt war, und vorwärts in eine Zukunft, die in der Einsamkeit des Eilands durchaus heilsam sein könnte. Janus Rock ist Toms Refugium. Für die Bewohner des Hafenstädtchens Partageuse ist Tom die Hoffnung auf Reichtum und Glück, das er mit dem Leuchtturm anlocken soll. Seinem Vorgänger waren weder Glück noch Heilung beschieden: Dessen Frau hätte den Schiffen heimlich Signale gesandt, wird Tom am Tisch von Familie Graysmark zugeraunt – ein problematischer Fall, vor allem, da die Frau seit zwei Jahren tot ist. Was wie das Fundament einer Gruselgeschichte klingt, entwickelt sich großen zur großen Romanze, als Tom die schöne Tochter der Graysmarks kennenlernt. Jünger, lebensfroher und forscher als Tom, fordert Isabel, die zwei Brüder im Krieg verloren hat, erst ein Picknick und dann die Heirat ein. Diese ultimative romantische Geschichte nimmt schon bald eine dramatische Kehrtwendung: Isabel kann keine Kinder bekommen. Eine Fehlgeburt folgt auf eine frühere, als das Meeresrauschen leises Babygeschrei mit sich trägt. In einerJolle werden ein Toter und ein neugeborenes Mädchen ans Ufer gespült, das Tom sofort melden und Isabel unbedingt behalten will. Dem Findelkind drohe an Land das Waisenhaus, eine Adoption würde ihnen nie gestattet werden, und sowieso würde niemand etwas erfahren. So redet Isabel auf Tom ein, der sich fügt, die Schuld aber kaum ertragen kann, als ihm die leibliche Mutter des Mädchens begegnet, das bei ihm und Isabel unter dem Namen Lucy aufwächst.
Am westlichsten Rand Australiens, wo der Indische Ozean und der Südpazifik aneinanderstoßen, können das Falsche und das Richtige schon mal wie die Strömungen der beiden Weltmeere ineinander fließen. Strahlend umhüllt die Sonne den gottesfürchtigen Tom am Pier. Isabel tollt über die grünen Hügel, steht träumend am Meer und fährt im Gras mit den Händen durch die Halme. „The Light Between Oceans“ nach dem Bestseller von M.L. Stedman hat keine Angst vor Gefühlen und den dazu gehörenden Bildern einer Naturschönheit, die so großartig wie in den ehrfürchtigen Filmen von Terrence Malick eingefangen wird.
Die erste Hälfte ist eine visuelle Liebeserklärung an das Meer und die von ihm umspülte Insel, auf der eine große Liebe des dramatischen Umschlags harrt, mit dem sich die Geschichte dann erzählerisch gleich mehrmals zu überschlagen droht. Schon früh setzen die Klavierklänge von Alexandre Desplat einige Male zu oft an, als dass man nicht eine Gefühligkeit erahnen würde, die der Film narrativ nicht halten kann. Es werden Drehbuchprämissen aufgefahren, die man zugunsten der dramatischen Zuspitzung schlucken soll: Da schenkt das Meer dem Paar endlich das ersehnte Baby. Später sieht Tom anlässlich der Taufe Lucys leibliche Mutter trauernd über dem Grabstein ihres vom Meer verschluckten Ehemannes und des Babys. Im Roman mögen sich solche Wendungen vermitteln, in der Verdichtung des Kinofilms gelingt es Regisseur Derek Cianfrance nicht, Schuld und Vergebung so im Raum-Zeit-Kontinuum zu platzieren, dass sie glaubwürdig bleiben.
Die Stärke des Films liegt eher im Festzurren angespannter Beziehungsgeflechte, in kleinen Gesten auf engstem Raum, nicht in den Schicksalswendungen über große Zeiträume hinweg, die vom Moses-Körbchen bis zum Märtyrer-Opfer auch noch biblische Referenzen bemühen. Die bisherigen Beziehungsdra-men des Regisseurs drehten sich ebenfalls um ein Kind, das zusammenschweißen, aber auch auseinanderreißen kann. Zweimal verkörperte Ryan Gosling diese in ihrer Fixierung auf den Nachwuchs rührenden, selbst recht kindlich gebliebenen Männerfiguren (in „A Place Beyond the Pines“
(fd 41 753) und in „Blue Valentine“
(fd 40 575)), jetzt spielt Michael Fassbender kongenial einen gebrochenen Mann, dem die Kriegsgräuel aus den traurigen Augen flackern, während seiner Partnerin eine Lebensfreude aus allen Poren strömt. In der Etablierung dieses Paars leuchtet der Film wie die Sonnenstrahlen, die über die Wasserflächen gleiten, um sich an den Inselbewohnern zu brechen. Es sind diese Brüche im Lebenslauf der Figuren, an denen der Film zu zerbrechen droht. Weil ausbuchstabiert wird, wofür es gar nicht so viele Worte und Noten gebraucht hätte.