Ein Leben in Bildern als rasante Collage von Foto-, Film- und Tonschnipseln: Der Auftakt des Films beschwört virtuos eine Künstler-Vita im 20. Jahrhundert, präsentiert wie eine aufs dreifache Tempo beschleunigte Version des »News on the March«-Porträts in »Citizen Kane«. Angeblich historische Bilddokumente aller Art in Schwarz-weiß und Farbe, private Schnappschüsse aus Ateliers, Wohnungen, Galerien, Fernsehaufnahmen aus dem Archiv, dazu ein Kommentar, der den fiktiven Maler Manuel Kaminski in die Kunst- und Zeitgeschichte einordnet: vom Zeitgenossen und potenziellen Picasso- oder Matisse-Nachfolger bis zum Phänomen der 1960er-Popkultur, der sich mit den Beatles, Muhammad Ali und Andy Warhol fotografieren lässt.
Manuel Kaminski hat seine 15 Minuten Ruhm gehabt, das macht dieser augenzwinkernde Fotomontage-Auftakt à la »Zelig« überzeugend deutlich (und die Reverenz mit einer dazwischengeschnittenen Aufnahme von Woody Allen explizit). Kaminskis spezielle Legende als »der blinde Maler« hat ihm eine Weile die öffentliche Aufmerksamkeit gesichert, bevor er wieder in Vergessenheit geriet – und damit auch die Frage, wie viel an der Legende wirklich dran war. Für die nachfolgende Generation spielt sein Werk keine Rolle mehr. Kaminski, der sich vor Jahrzehnten in ein Schweizer Chalet zurückgezogen hat, scheint nur noch für einen Menschenschlag interessant zu sein: Spekulanten auf seinen Tod, die sich einen Anteil an der absehbaren Wertschätzung und Rentabilität von Kaminskis Bildern post mortem sichern wollen.
Als Schlimmsten dieser Brut präsentiert Daniel Kehlmann in seinem 2003 erschienenen Roman »Ich und Kaminski« den jungen Kulturjournalisten Sebastian Zöllner. Ohne großen Bezug zur Kunst, aber mit großem Ehrgeiz und einer enormen Dreistigkeit gesegnet, will der eine Biografie über den vergessenen Maler schreiben und nach dessen Tod groß herausbringen. In Wolfgang Beckers Verfilmung verkörpert Daniel Brühl diesen selbstverliebten Zyniker, wobei Brühl die Gelegenheit nutzt, um sich in einer unsympathischen Rolle einmal nach Herzenslust auszutoben. Dass er dabei nach schönster Komödientradition von einer peinlichen Situation in die nächste gerät, verhilft dem Film besonders am Beginn zu einer Reihe sehr amüsanter Momente. Die Begegnung mit dem greisen Maler inmitten weiterer lustvoll überzeichneter Vertreter des Kunstbetriebs erscheint so als köstliches Zusammentreffen zweier Egos, die ausschließlich um sich selbst kreisen, was durch Kaminskis möglicherweise nur gespielte Senilität und Zöllners Mangel an Takt noch gesteigert wird. Als der Journalist versucht, Kaminskis Entourage loszuwerden und ihn mit unerwarteten Enthüllungen zu aufzeichnenswerten Aussagen zu treiben, läuft freilich nicht alles nach Plan: Unversehens findet sich Zöllner im Auto des grantigen Alten wieder, der ihn zum Haus seiner für tot gehaltenen früheren Freundin an der Nordsee dirigiert, während er Fragen und Wünsche seines Möchtegern-Biografen geflissentlich ignoriert.
In seinem ersten Kinofilm seit der gefeierten Satire »Good Bye, Lenin!« (
(fd 35 817); 2003) nimmt Wolfgang Becker das Thema der gezielten Täuschung wieder auf: Erneut geht es um die Frage, welche der beiden Hauptfiguren der größere Manipulator ist und wer von beiden das verzerrte Abbild der Wirklichkeit nötiger braucht. Allerdings büßt der Film trotz des famosen Wechselspiels zwischen Brühl und dem dänischen Charakterdarsteller Jesper Christensen seine anfängliche Stimmigkeit weitgehend ein, wenn er sich im zweiten Teil zum Road Movie wandelt. Ohne großen Nachhall reihen sich auf der Reise Stationen und Begegnungen aneinander, die nicht gerade originell auf die Läuterung Zöllners hinauslaufen und den mumienhaften Maler ein bisschen aufdringlich seine Altersweisheit ausspielen lassen. Im Gedächtnis bleiben deshalb weniger die Figuren und die Satire auf den Kunstbetrieb als vielmehr die kunstvollen Überblendungen zwischen den einzelnen Filmabschnitten, bei denen sich reale Bilder in Gemälde und umgekehrt verwandeln, sowie die in jeder Szene spürbare Liebe des Regisseurs zu einer sorgsam und detailreich gestalteten Mise-en-Scène. Was einen trotz des konventionellen Plots am Ende doch wünschen lässt, dass es nicht nochmal 12 Jahre bis zu Beckers nächstem Film dauern möge.