Am Anfang steht das Menetekel von „9/11“, mit dem Kathryn Bigelow ihren Film „Zero Dark Thirty“ eröffnet. Die Leinwand bleibt schwarz, aber man hört die Stimmen der Opfer des Terroranschlags aus der Luft. Stimmen voller Angst und Verzweiflung, Menschen, wissend, dass sie diesen Morgen nicht überleben werden. Als Präsident Bush damals unmittelbar nach den Anschlägen vor die Fernsehkameras trat, versprach er der traumatisierten Nation: „We’ll hunt them down!“ So, als sei das Ganze ein alter Indianerfilm, ein böser Traum. Aber nichts anderes als die geduldige, durch Rückschläge nicht zu erschütternde Einlösung dieses Versprechens, die Jagd auf Osama Bin Laden bis hin zur Nacht seiner Exekution durch eine Spezialeinheit in Pakistan, zeigt Bigelows Film – und ist doch zugleich das verstörende Psychogramm einer jungen CIA-Agentin, die von dieser Jagd geradezu besessen scheint. Die Energie, die vom traumatischen Vorstellungskomplex „9/11“ ausgeht, reicht für eine lange, mühsame, aber ausdauernde Jagd, die gleichwohl gegen die wechselnden Moden und Opportunismen der Politik behauptet werden muss. Und gegen die kontrapunktisch eingesetzten Terroranschläge von Al-Qaida, die die Ermittlungsarbeiten strukturieren und vor allem eine ständige, nie nachlassende Gefahr beschwören, die von diesem Terrornetzwerk ausgeht: Madrid, London, Bali, Islamabad.
Nachdem einige Freunde und Mitarbeiter Mayas bei einem aberwitzig in Szene gesetzten und ebenso aberwitzig naiv geplanten Kontakt mit einem Informanten Opfer eines Selbstmordanschlags wurden, wird die ganze Angelegenheit fast schon zu einem persönlichen Feldzug, wenn Maya äußert, es sei vielleicht Schicksal, dass sie dem Anschlag entging, weil sie „die Sache“ zu Ende bringen solle. Doch solch sentimentale Momente gönnt sich der Film nur selten. Zumeist zeigt Kathryn Bigelow die Arbeit der Geheimdienste unterkühlt als hoch professionell: Man überwacht, sammelt Daten und Informationen, wertet aus, stellt Zusammenhänge her, geht Spuren nach, bringt Ordnung in ein Chaos von Fakten. Und sie zeigt auch: Die CIA foltert, um an Informationen zu gelangen, und tötet als Konsequenz dieser Informationen; in verschiedenen Ländern unterhält man Geheimgefängnisse, in denen man Menschen verschwinden lassen kann. Vieles, was in den Jahren des „War against Terror“ zum Skandal wurde und vielleicht noch werden wird, wenn es denn überhaupt an die Öffentlichkeit kam oder kommt, wird von Kathryn Bigelow nüchtern registriert. Menschenrechte sind in Kriegszeiten etwas Relatives und Verhandelbares. Man kann diese Nüchternheit des Films als Indifferenz kritisieren. Die Filmemacherin sagt von sich, sie habe keine Agenda, nur ihre Recherche. Tritt der Film deshalb mit journalistischem Anspruch auf? In den USA wird „Zero Dark Thirty“ heftig kritisiert (vgl. S. 3); man wirft dem Film vor, er legitimiere Folter, weil die Informationen, die durch Folter geschöpft worden seien, letztlich zur Liquidation Bin Ladens geführt hätten. Tatsächlich führten Informationen, die im Chaos der ersten Tage nach „9/11“ untergingen, zum Versteck von Bin Laden. Also: Warum wird in „Zero Dark Thirty“ so ausgiebig gefoltert? Weil in der Realität ausgiebig gefoltert wurde?
Noch interessanter als die Beantwortung dieser Frage ist die Figur der manischen Jägerin Maya, gespielt von Jessica Chastain, die in ihrem Habitus fast an eine mythische Westernfigur erinnert (oder an Kapitän Ahab!) und die, als die Jagd beendet ist, fassungslos ins Leere blickt. Man kann diese Schlusspointe individualpsychologisch interpretieren – oder politisch. Ersteres scheint ein wenig vermessen bei einer Figur, die keine Geschichte (und eigentlich auch keine Gegenwart) hat; letzteres scheint eine interessante Gewichtung: Denn die Fixierung auf einen allmächtigen Bösewicht, der als Gegenüber fungiert, entspricht längst nicht mehr der nicht-hierarchischen, rhizomartigen Vernetzung des globalen Terrors. In diesem Sinne wäre der groß angelegte Showdown von Abbottabad im Mai 2011 im dritten Abschnitt des Films eine verquere militaristische Farce, in der ein Spezialkommando mit großer Professionalität eine heikle Mission erfolgreich durchführt – und letztlich doch an der Struktur des internationalen Terrors nichts ändert. „Zero Dark Thirty“ zeigt auch diesen ernüchternden Befund, der keinerlei Pathos oder Genugtuung zulässt, sondern eigentlich ein Scheitern aus politischer Kurzsichtigkeit konstatiert.
So ist der Film ist ein temporeicher, hoch spannender, fast dokumentarischer, aber vor allem höchst unbequemer Polit-Thriller voller unangenehmer Wahrheiten und politischer Ambivalenzen, dessen Einschätzung und Gewichtung letztlich dem einzelnen Zuschauer und seiner politischen Haltung überlassen bleibt. Diese fehlende Eindeutigkeit mag man bedauern, aber zugleich ist diese Offenheit ein Indiz dafür, dass die Regisseurin zumindest in einem Punkt irrt, nämlich wenn sie behauptet, ihr Film sei unpolitisch. Das Gegenteil ist der Fall.