Zwei gut situierte New Yorker Ehepaare treffen sich. Die Wohnung der Longstreets ist penibel hergerichtet, den Wohnzimmertisch ziert eine Vase mit frischen Tulpen. Doch die Zusammenkunft ist kein Treffen unter Freunden: Die beiden elfjährigen Jungs der Familien haben die Begegnung ungewollt herbeigeführt und die Cowans in die missliche Lage gebracht, sich bei dem Longstreets entschuldigen zu müssen. Immerhin hat ihr Sohn dem Longstreet-Jungen bei einer Rauferei auf dem Spielplatz zwei Zähne ausgeschlagen – mit einem Stock! Die Begegnung ist also nicht frei von Spannungen. Aber der Konflikt scheint sich im besten Einvernehmen regeln zu lassen, nachdem man aus dem Protokoll, auf das Penelope Longstreet besteht, die Worte „Vorsatz“ und „Waffe“ gestrichen hat, sich über eine Rangelei mit üblen Folgen und etwaigen Zahnarztkosten verständigt. Nancy Cowan ist zufrieden, die beiden recht unbeteiligten Ehemänner, Alan Cowan und Michael Longstreet, die ihre eigenen Kindheits-Prügelei-Erfahrungen teilen, sowieso; sie haben dem Vorfall ohnehin keine große Bedeutung zugemessen.
Ein vernünftiges Gespräch unter kultivierten Erwachsenen, und alles ist gut, der Grundstein für eine oberflächliche Bekanntschaft ist gelegt. Sollte man meinen! Doch dann lässt die Gelegenheitsautorin und Afrika-Aktivistin Penelope, die von einem nahezu verbissenen Gerechtigkeitssinn getrieben wird, eine ihrer Katzen aus dem Sack: Sie fände es gut, wenn sich der Sohn der Cowans persönlich bei seinem Opfer entschuldigen würde. Am Besten in Begleitung der Eltern, damit der Geste die notwendige Dimension verliehen wird. Nancy versucht, auch hier einzulenken, stößt jedoch auf den Widerstand ihres eher gelangweilten Ehemanns, der ein solches „Gipfeltreffen“ für überflüssig hält. Dieses und weitere Details müssen erörtert werden. Das macht man am besten bei Kaffee und Cake, ein kleiner Whisky hinterher kann auch nicht schaden. Doch bei einem Whisky bleibt es nicht, und je mehr sich die Mütter über Erziehungsmethoden, Verantwortung und gesellschaftlichen Konsens in Rage reden, umso mehr begreifen die Männer, dass sie jetzt ihre jeweilige Partei ergreifen müssen. Alan, längst genervt und mehr mit den Handy-Anrufen aus seiner Anwaltskanzlei als mit den Debatten um die Teenager-Prügelei beschäftigt, reagiert zunehmend süffisant und richtet hämische Fragen an Michael, der sein Geld als Sanitärwaren-Vertreter verdient. Die Stimmung heizt sich im gleichen Maße auf, wie der Alkoholpegel steigt.
„Großes“ Kino im landläufigen Sinne ist es nicht, was Roman Polanski mit seinem „Gemetzel“ bietet: Vier Personen, ein Raum – was will man daraus machen? Im diesem Fall: Einen ebenso schlichten wie genialen Film! Polanski nutzt die vier Personen und den einen Raum, um eine ungeheure Spannung zu erzielen. Dem Film liegt das gefeierte Theaterstück vom Yasmina Reza zugrunde, doch die filmische Umsetzung ist nicht weniger atemberaubend. Jedes Detail des in der Kernszene in Echtzeit gedrehten Films passt und ist stimmig; die Darsteller entwickeln ungeheure Präsenz und Glaubwürdigkeit, allen voran Jodie Foster als Penelope Longstreet, die „political correctness“ auf dem Grat zur Karikatur zelebriert, nur um am bitteren Ende feststellen zu müssen, dass sie gar nicht so korrekt ist. Das Drehbuch liefert einen Einblick in den umgekehrten „Prozess der Zivilisation“ und schildert nachdrücklich, wie rasch man an den Wendepunkt kommt: Wenn Zivilisation, Kultiviertheit und Kultur von einem abfallen, bleibt nur der nackte Mensch, der in Tausenden von Jahren nicht dazugelernt hat, sich seiner Nacktheit schämen mag, aber nicht aus seiner Haut heraus kann – Designer-Kleidung bietet da keinen Schutz.
„Der Gott des Gemetzels“ ist eine ätzend-satirische Gesellschaftskomödie, die auch durch das Szenenbild von Dean Tavoularis überzeugt, der perfekt ausgestattete Räume schuf, in denen man sich beim besten Willen nicht mehr aus dem Weg gehen kann und in denen die Laufwege der Menschen vorgegeben sind. Polanski arbeitet in erster Linie mit halbnahen und halbtotalen Einstellungen, erfasst die Menschen in ihrem behüteten (Lebens-)Raum und einer unbehüteten, weil nicht prognostizierbaren Situation und fängt minutiös ihre Interaktion, die eskalierende Gruppendynamik ein. Die einzige Großaufnahme bleibt dem Hamster vorbehalten, den der Nagetier-Phobiker Michael am Abend zuvor ausgesetzt hatte: Der mümmelt am Ende auf einer grünen Wiese vor sich hin und hat als einziger das „Gemetzel“ unbeschadet überstanden. Zwei Totalen bilden die Klammern des Films: Am Anfang sieht man die „Gewalttat“, die das Geschehen ins Rollen brachte, am Ende dieselbe Wiese mit Schülern, darunter auch die Cowan- und Longstreet-Jungs, die sich längst wieder vertragen haben. Das nutzt ihren Eltern jedoch wenig, ihre Welt, zumindest ihre ideelle, liegt bis auf weiteres in Trümmern; auf denen man allerdings auch Neues aufbauen könnte.