La Lisière - Am Waldrand

Drama | Frankreich/Deutschland 2010 | 101 Minuten

Regie: Géraldine Bajard

Ein junger Arzt aus Paris zieht in die Provinz, wo er die medizinische Versorgung einer Neubausiedlung übernimmt und mit der örtlichen Jugendgang aneinandergerät. Während die Mädchen den attraktiven Mediziner anhimmeln, reagieren die Jungen mit Macho- und Drohgebärden. Als ein Junge überfahren wird und der Täter unerkannt flieht, richtet sich ihr Zorn gegen den Arzt. Angesiedelt in symbolisch aufgeladenen Räumen, die einen Gegensatz zwischen Zivilisation und Wildnis konstruieren, entwickelt sich ein atmosphärisch dichtes Drama, das weniger auf Psychologie als auf das suggestiv-sinnliche Zusammenspiel von Licht, Farbe und Musik setzt und beschreibt, wie die Körper mit ihrer Umgebung interagieren. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LA LISIÈRE
Produktionsland
Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Cinémadefacto/23/5 Filmprod.
Regie
Géraldine Bajard
Buch
Géraldine Bajard
Kamera
Josée Deshaies
Musik
Mrs. Good
Schnitt
Bettina Böhler
Darsteller
Melvil Poupaud (François) · Audrey Marnay (Jeanne) · Hippolyte Girardot (Sam) · Phénix Brossard (Cédric) · Alice De Jode (Claire)
Länge
101 Minuten
Kinostart
28.04.2011
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Real Fiction Filmverleih
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Die hermetisch abgeschlossene Neubausiedlung „Die Hügel von Beauval“ und das angrenzende Waldgebiet wirken zunächst verbindungslos. Während die eine Welt durchreglementiert und -domestiziert ist, ja selbst die Bewegungen und Sprechweisen ihrer Bewohner zu lenken bzw. zu lähmen scheint, projiziert sich auf den Wald alles Verbotene, Transgressive – er wird zum dunklen, unübersichtlichen Ort ungebremster, roher Empfindungen. Dabei scheinen sich die konträren Felder gegenseitig erst hervorzubringen – als von geheimen Absprachen und Codes durchdrungene Systeme. Als François als neuer Arzt nach Beauval kommt, richten sich alle Erwartungen, Blicke und Projektionen auf ihn. Der Investor der Siedlung versucht, ihn zu vereinnahmen, eine Immobilienmaklerin macht aus der Wohnungsbesichtigung eine anspielungsreiche Angelegenheit. Doch vor allem die Jugend von Beauval nimmt François sofort ins Visier. Die Jungen, die unter Führung des manipulativ agierenden Cédric auf ihren Mofas über die Landstraßen brettern, begegnen ihm mit subtilen Provokationen und unberechenbaren Drohgebärden, die Mädchen, vor allem Claire, steigern sich dagegen in romantische Fantasien hinein. Der Reihe nach simulieren sie Krankheiten und lassen den hübschen Arzt wiederholt zu nächtlichen Hausbesuchen kommen. François, der schon seine Geliebte seltsam unbeteiligt in Paris zurückgelassen hat, setzt diesen stark wirkenden Triebkräften wenig entgegen. Er lässt sich treiben, bereitwillig hineinziehen in ihr undurchsichtiges Spiel, von dem eine diffuse Gefahr ausgeht. Géraldine Bajard, die als Regieassistentin mit Angela Schanelec zusammengearbeitet hat und für Pia Marais’ „Die Unerzogenen“ (fd 38 510) als Casting-Agentin tätig war, erzählt in ihrem beeindruckenden Debütfilm, wie Körper auf und mit ihren Umgebungen reagieren. Die sterile Neubausiedlung, die wie ein Fremdkörper in die Natur eingedrungen ist, zieht jegliche Vitalität ab und macht aus ihren Bewohnern mechanisch agierende Schattenwesen. Alle unterdrückten Sehnsüchte, alles „Leben“, bündelt sich dagegen in der eingeschworenen Gemeinschaft der Jugendlichen. Ihre merkwürdigen Rituale und die von Erniedrigung und Verführung bestimmten Mutproben werden zwar nur ausschnitthaft sichtbar, steigern sich aber auf spürbar bedrohliche Weise. Der Film rückt den Jugendlichen körperlich nah, schließt dabei aber den Zuschauer gleichzeitig aus ihrem Verbund aus. Wiederholt sieht man, wie sie sich am Waldrand kreisförmig anordnen und dabei ihre Köpfe zusammenstecken, sich zu einem gemeinsamen Körper formieren. Die François entgegengebrachte Feindseligkeit, der auf ihn gerichtete Hass und das Begehren äußern sich indirekt und rätselhaft, in ungelenken Gesten, verhuschten oder auch schneidenden Blicken und im wiederkehrenden bedrohlichen Motorengeräusch der herannahenden Mofas. Der Horror und das Fantastische sind bei Bajard keine Ausbrüche aus dem Realen, es sind vielmehr Steigerungen, Intensivierungen einer Realität, die unmittelbar greifbar scheint und sich dabei gleichzeitig entzieht. In manchen Momenten geraten Merkwürdigkeit und Unergründlichkeit vielleicht ein wenig zu ausgestellt, vor allem in der Darstellung des neurotischen Mustersiedlungslebens, den steifen Gesten, hölzernen Worten und toten Blicken. Doch Bajard zeigt bei allem ein außergewöhnliches Gespür für Atmosphären und Aufladungen. An Psychologie ist die französische Filmemacherin, die an der dffb studiert hat, nicht interessiert; sie nähert sich den Figuren über ihre Bewegungen, versucht, ähnlich wie Claire Denis, sie taktil zu erfassen. So nimmt die Kamera Texturen von Oberflächen in den Blick, ertastet den glitzernden Stoff eines Kleids im Licht eines Scheinwerfers und die im Licht der Taschenlampen nur schemenhaft erkennbaren adoleszenten Körper. Das Zusammenspiel von Licht, Farben und Musik (ein schwebender Soundtrack der französischen Band Mrs. Good), von Rhythmus und Bewegung, Gesichtern, Körpern und Räumen erzeugt dabei eine Verdichtung von Stimmungen und Sinneseindrücken. Sie sind gleichermaßen anziehend wie Angst machend.
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