Alejandro González Iñárritu ist bekannt dafür, seinen Filmfiguren schwere Schicksalsschläge und tonnenschwere Schuld aufzubürden. Zudem hat der mexikanische Regisseur mit seinem Drehbuchautor Guillermo Arriaga in Filmen wie „Amores Perros“
(fd 34 103) oder „21 Gramm“
(fd 36 365) die nicht-lineare Erzählung sowie die Dramaturgie verschachtelter, paralleler Handlungsstränge zu einer virtuosen Disziplin perfektioniert. Bei „Babel“
(fd 37 924) schien dann aber alles zusammenzubrechen: Der Film erstickte an seinem Pathos und an dem Größenwahn seiner globalen Perspektive; Machtrangeleien zwischen Iñárritu und Arriaga beendeten die langjährige Zusammenarbeit auf ziemlich unschöne Art.
„Biutiful“ ist damit Iñárritus erster Film ohne seinen bewährten Drehbuchautor. Zunächst wirkt der Wechsel hin zu einer linearen Erzählung, die ganz auf ihre Hauptfigur fokussiert ist und sich dabei weder in dramaturgische Kunststücke noch in anmaßende Welterklärungen versteigt, angenehm solide und unprätentiös. Der Film erzählt von Uxbal, einem Kleinganoven in Barcelona, der sich und seine beiden Kinder mit illegalen und obskuren Geschäften gerade mal so über Wasser hält. Uxbal ist eines der unteren Glieder einer langen Ausbeutungskette: Er vermittelt illegale Arbeiter an eine Baustelle, dealt mit chinesischen Fälschern und fungiert als Zwischenglied zu den afrikanischen Taschenverkäufern auf der Straße. Außerdem wird er dafür bezahlt, in dunklen Hinterzimmern mit den Seelen gerade Verstorbener zu kommunizieren. Uxbal ist eine Mischung aus Gauner, Scharlatan, Menschenhändler und Menschenfreund. Natürlich profitiert er von den Geschäften mit der Migration, aber gleichzeitig versucht er, die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Einwanderer auf ein erträglicheres Level zu heben, schließt Freundschaften mit Arbeitern. Barcelona ist hier eine Stadt, wie man sie im Kino bislang nicht gesehen hat: eine europäische Metropole in Dritte-Welt-ähnlichen Verhältnissen, finster und dreckig, ein multi-ethnischer Parallelkosmos, abseits einer „offiziellen“ Perspektive.
Die „papierlosen“ Arbeiter, ständig von der Abschiebung bedroht, leben in einem engen Kellerraum zusammengepfercht, machen Überstunden an ihren Nähmaschinen oder auf der Baustelle; auf den Straßen kommt es zu gewaltsamen Polizeirazzien. Leben und Arbeiten in menschenunwürdigen Verhältnissen, mit viel Mitgefühl, aber mitunter gar zu pittoresk in Szene gesetzt. Deutlich besser scheint das Leben Uxbals aber auch nicht zu sein. Seine bipolar-kranke Frau hat die Familie verlassen, weshalb er die Kinder allein versorgen und sich um ihre Betreuung kümmern muss, wenn er seinen Geschäften nachgeht. Die Wohnung, in der Uxbal mit seinen Kindern die besseren Stunden seines Lebens verbringt, ist ein enges, dunkles Loch. Besonders die Decke hat es Iñárritu angetan, immer wieder nimmt die Kamera schimmelige Flecken und bröckelnden Putz in den Blick – nicht zuletzt funktioniert sie als ein Bild für das sich allmählich auflösende Leben der Hauptfigur. Dies wäre eigentlich Stoff genug für einen Film, doch Iñárritu wäre wohl nicht Iñárritu ohne seine Lieblingsthemen Schuld und Vergebung. Also schickt er auch hier seine Hauptfigur auf einen steinigen Leidensweg. Uxbal leidet an Krebs und hat nicht mehr lange zu Leben; eine Behandlung scheint sinnlos. Sein einziges Lebensmotiv besteht darin, seinen Kindern eine Zukunft zu schaffen, in der sie beschützt und versorgt sind. Doch der Versuch, seine Frau in die Familie zurückzuholen, ihre Mutterrolle wieder herzustellen, scheitert. Aber es kommt noch schlimmer. Unwissentlich macht er sich an dem Tod von 25 illegalen Einwanderern schuldig.
„B-I-U-T-I-F-U-L“, buchstabiert Uxbal, als er von seiner Tochter nach der richtigen Schreibweise von „beautiful“ gefragt wird. Die Szenen zwischen Vater und Kindern, alltäglich und ohne Bedeutungsschwere inszeniert, gehören zu den Lichtblicken des Films. Tatsächlich bringen sie eine andere Stimmung in eine Erzählung, die für die Darstellung persönlicher und geopolitischer Katastrophen im Grunde doch immer nur eine Tonart findet. „Biutiful“ besitzt zweifelsohne mitreißende, anrührende und virtuose Momente, und in seinen besten Szenen knüpft der Film sogar an die Direktheit von „Amores Perros“ an. Doch Iñárritus Allianz mit dem Elend ist eindeutig an einem erschöpfenden Punkt angelangt.