Porträt des italienischen Politikers Giulio Andreotti, der zwischen 1972 und 1992 sieben Mal das Amt des Ministerpräsidenten innehatte, auch wenn er immer wieder in Verdacht geriet, Kontakte zum organisierten Verbrechen zu haben. Weniger an nachweisbaren Fakten orientiert, ist der klug komponierte Film eine von Abneigung wie auch Faszination geprägte Studie über einen Machtmenschen, wobei es ihm mehr um die Kritik an einem desolaten politischen System geht. Dabei schließt er ebenso an die Tradition des italienischen Polit-Thrillers wie an Shakespeares Königsdramen an.
- Sehenswert ab 16.
Il Divo
Biopic | Italien/Frankreich 2008 | 110 Minuten
Regie: Paolo Sorrentino
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Filmdaten
- Originaltitel
- IL DIVO
- Produktionsland
- Italien/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Indigo Film/Lucky Red/Praco Film/Babe Film/Studio Canal/arte France Cinéma
- Regie
- Paolo Sorrentino
- Buch
- Paolo Sorrentino
- Kamera
- Luca Bigazzi
- Musik
- Teho Teardo
- Schnitt
- Cristiano Travaglioli
- Darsteller
- Toni Servillo (Giulio Andreotti) · Anna Bonaiuto (Livia Danese) · Piera Degli Esposti (Signora Enea) · Paolo Graziosi (Aldo Moro) · Giulio Bosetti (Eugenio Scalfari)
- Länge
- 110 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Biopic | Politthriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
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Er geht gern spazieren. So ist es ein harmloser Gang der Hauptfigur, mitten in der Nacht um den Block des Regierungsviertels, der zu einem der eindrucksvollsten Momente dieses Films gerät. Da sieht man in den menschenleeren Straßen einen kleinen, buckeligen alten Mann langsamen Schrittes gehen, während um ihn herum diverse Sicherheitsleute wachen und neben ihm im Schritttempo sein Wagen folgt: ein treffendes Bild für die Doppeldeutigkeit der Macht, die für ihren Träger ebenso Einsamkeit bedeutet wie Autonomie, die ihn zum Symbol des Staates macht wie zu dessen Gefangenem. Zweifellos ist dieser Mensch im Zentrum von „Il Divo“ einer, der die Macht genießt. Nie aber lässt Paolo Sorrentinos Film zweifeln, dass er auch ein von ihr Getriebener ist, der Grund hat, vor seinen Feinden Angst zu haben, und darum immerzu Sorge trägt, diese umgekehrt nicht weniger zu ängstigen. Es ist dieses Doppelgestirn „Furcht und Eigennutz“, das schon für den Philosophen Thomas Hobbes das Wesen des Politischen ausdrückte, und das auch diesen Film prägt.
Menschlich, allzu menschlich ist der, der bereits im Titel als „Il Divo“, der Entrückte, vorgestellt wird. Wobei alle Tugenden und Laster, die Giulio Andreotti nachgesagt werden, nach wie vor in erster Linie im Auge des Betrachters liegen. Zweifellos gehört Andreotti, der am 14. Januar 2009 90 Jahre alt wurde, als siebenfacher italienischer Regierungschef und vielfacher Minister zu den eindrucksvollsten Politikerfiguren des Nachkriegseuropa. Aber er ist auch einer der schillerndsten, am schwersten zu durchschauenden Politiker unseres Zeitalters. Schon seit Jahren steht er immer wieder im Verdacht, Verbindungen zum organisierten Verbrechen zu haben – bewiesen wurde nichts, aus allen Verfahren ging Andreotti mit einem Freispruch hervor. Der hehre Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ muss im Gegensatz zum Rechtsstaat im Kino nicht gelten, und so ist Sorrentinos Film keineswegs eine unparteiische Untersuchung, stellt vielmehr diverse Dinge als Fakten hin, die keineswegs gesichert sind. Dies gilt insbesondere für den Verdacht der Mitgliedschaft in der Mafia. Allerdings beansprucht „Il Divo“ auch keine dokumentarische Faktentreue und Glaubwürdigkeit; es geht um eine höhere, symbolische Wahrheit und insofern letztlich gar nicht um den realen Andreotti – vielmehr wird dieser zur Chiffre für das politische System Italiens. Ohne zu moralisieren, übt der Film scharfe Kritik an den Verhältnissen und knüpft hier auch an die gute italienische Tradition des Politthrillers an – etwa Francesco Rosis „Der Fall Mattei“ (fd 18 460) und „Hände über der Stadt“ (fd 13 482).
Sorrentino glückt es meisterlich, moderne Politik als klassisches Königsdrama zu inszenieren, im Stil von Shakespeares „Richard III.“ oder „Julius Caesar“. Auch an Chaplins „Der große Diktator“ (fd 7373) muss man denken, ist doch der Ton selbst in bitteren Momenten oft heiter und gelassen. Während Nanni Moretti in seiner Berlusconi-Satire „Der Italiener“ (fd 38 221) von so starker Antipathie getrieben war, dass es dem Film schadete, erkennt man bei Sorrentino eine weit interessantere Mischung aus Abneigung und Faszination. Indem er die Machenschaften italienischer Politik – Flügelkämpfe, Nepotismus, Korruption, Medienmanipulation, Lügen und Gefälligkeiten für Gönner – schildert, präsentiert er einerseits ein zeitgenössisches Panorama, dessen Gültigkeit über Italien hinausgeht; andererseits übt sein bewundernswert genau komponierter Film einen ungewohnten Ton ein: Politik als Musical-artige Farce, als mit hoher Eleganz choreografiertes Machtballett. Zwei weitere Aspekte wecken Interesse: Unter der Maske dieses Andreotti verbirgt sich Berlusconi. Und: In Deutschland könnte man aufgrund eines übertrieben scharfen Persönlichkeitsrechts, das vor allem „Prominente“ und damit die Mächtigen schützt, Vergleichbares nicht machen. Eine ähnlich leichtfüßig-entlarvende Satire über die Deutsche Einheit, Elf Aquitaine oder die Gasprom ist einstweilen nicht zu erwarten.
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