Der behandelnde Arzt wäscht seine Hände in Unschuld, während die junge Patientin in den karg möblierten Raum geführt wird. Sie sinkt auf dem Stuhl in sich zusammen, wie von einer tiefen Traurigkeit gedrückt, keine Frage scheint sie zu erreichen, ein Schleier aus langen schwarzen Haaren verbirgt ihr Gesicht. Auch die Kamera nähert sich dem Mädchen wie einem düsteren Geheimnis: erst zögernd, dann unwiderstehlich angezogen, zuletzt sucht sie verstohlen seinen Blick. Doch der wendet sich zur Seite und findet in der Leere einen Zugang zur Vergangenheit.
Schon mit den ersten Bildern schürt der südkoreanische Regisseur Kim Jee-woon unheilvolle Erwartungen und hält diese während der folgenden Rückblende kunstvoll in der Schwebe. Auch die beiden Schwestern Soo-mi und Soo-yeon scheinen nicht gewillt, sich dem Publikum vorschnell zu offenbaren: Im Wagen ihres seltsam bedrückten Vaters kehren sie heim in ein geräumiges Landhaus, das sie neugierig erkunden, bevor ihre junge Stiefmutter sie frostig in Empfang nimmt. Offenbar beruht die Abneigung auf Gegenseitigkeit: Während sich Soo-yeon ängstlich an ihre ältere Schwester schmiegt, funkelt diese Eun-joo aus tiefschwarzen Augen böse an. Mit Kim Jee-woons „A Tale of Two Sisters“ schreibt das asiatische Horrorkino seine erstaunliche Erfolgsgeschichte der letzten Jahre fort. Nachdem Erfolge wie Hideo Nakatas „Ring“
(fd 35 918) oder Takashi Shimizus „Ju-On“ (2000) den Boden bereitet haben, sichert sich Hollywood die Rechte an nahezu jedem asiatischen Mysterienspiel, das den Sprung über den Pazifik schafft. Auch „A Tale of Two Sisters“ wird demnächst mit amerikanischem Personal neu aufgelegt, was nicht nur für die Werthaltigkeit des Genres spricht, sondern auch die Universalität seiner dramaturgischen Form bezeugt. Wie in einem modernen Enthüllungsdrama Hendrik Ibsens wohnt ein verdrängtes Grauen in den bürgerlichen Räumen, spukt bedeutungsschwer in düsteren Ecken und ebensolchen Dialogen, bis sich dem nach allen Regeln der Kunst auf die Folter gespannten Zuschauer die ganze Seelenpein in einer Serie von schockartigen Entdeckungen offenbart. Kim Jee-woon bedient sich dabei gekonnt, aber auch nicht übertrieben originell, aus dem Arsenal des Horrorkinos: Es knirscht gespenstisch im Gebälk, kleine Füße trippeln auf nächtlichen Fluren, albtraumhafte Gestalten stehlen sich in die Wirklichkeit, und das geordnete Raum-Zeit-Kontinuum wird zusehends löchrig. Nach einer Weile scheinen sämtliche weibliche Figuren am Rande des Wahnsinns zu balancieren, während der gramgebeugte Vater nur wenig davon mitbekommt. Natürlich wirft das die Frage auf, wer in dieser potenziell mörderischen Familienkonstellation zuerst das Gleichgewicht verliert, wer dabei möglicherweise nachhilft und ob dies alles nicht nur ein weiteres Ablenkungsmanöver im Enthüllungsdrama ist. Die absichtsvoll gestiftete Verwirrung wirkt so nachhaltig, dass auch die Auflösung des gelegentlich etwas überinstrumentierten Schreckens nicht alle Leerstellen füllen kann. Ein zweiter Blick kann deswegen eigentlich nicht schaden.