Drama | Österreich/Luxemburg 2003 | 86 Minuten

Regie: Michael Sturminger

Ein Jugendlicher gibt an, seine Mutter getötet zu haben, die eine Hure war. In der Rückschau wird sein Leben seit seiner frühen Kindheit nachgezeichnet: die Versuche der Mutter, sich ihm gegenüber als Kellnerin auszugeben, sein Wille, dies zu glauben, und das verzweifelte Verlangen nach mütterlicher Zuwendung, das bisweilen ödipale Momente aufweist. Psychologisch stringent über ein Jahrzehnt hinweg entwickelte Milieustudie, erhellend auch vor dem Hintergrund der Flucht der Familie vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg, bewegend und dennoch mit leichter Hand inszeniert und von hervorragenden Darstellern getragen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HURENSOHN
Produktionsland
Österreich/Luxemburg
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Josef Aichholzer Filmprod.
Regie
Michael Sturminger
Buch
Michael Sturminger · Michael Glawogger
Kamera
Jürgen Jürges
Musik
Adrian Vonwiller
Schnitt
Karina Ressler
Darsteller
Chulpan Khamatova (Silvija) · Miki Manojlovic (Onkel Ante) · Stanislav Lisnic (Ozren) · Ina Gogálová (Tante Ljiljana) · Georg Friedrich (Peppi)
Länge
86 Minuten
Kinostart
07.04.2005
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Ein aufgeweckter Junge ist Ozren nicht gerade, eher passiv, still und wohl auch ein bisschen zurückgeblieben. Deshalb geht er auf die Sonderschule. Vielleicht begreift er deshalb auch so lange nicht, dass seine Mutter eine Hure ist. Dabei geht sie gleich nebenan anschaffen, in einer Wiener Rotlichtbar. Vielleicht will es Ozren aber auch einfach nicht wahrhaben. Als kleines Kind ist es für ihn ganz normal, dass die Mutter spät abends zur Arbeit geht; das ist bei Kellnerinnen nun einmal so. Dann, ein paar Jahre später, sieht er sie zu Hause zusammen mit einem fremden Mann, der sie anfasst. Sein Vater ist nicht mitgekommen aus Jugoslawien, das noch immer vom Bürgerkrieg heimgesucht wird, nur Mutter, Tante, Onkel und er sind nach Wien gezogen. Als Ozren 16 ist, beschließt die Mutter, ihrem Sohn die kleine, schäbige Wohnung zu „überlassen“, was nichts anderes heißt, als dass sie ihn verlässt. Denn sie ist nun etwas besseres, ein Top-Callgirl. Ozren, der seine Mutter über alles liebt, findet sich damit nicht ab. Schon in den ersten Sekunden des Films ist Ozrens innere Stimme zu hören, die erklärt, er habe seine Mutter getötet. Insofern erwartet man in der Rückschau ein Familiendrama, in dessen Verlauf im wenig trauten Heim die Aggressionen eskalieren. Doch ganz im Gegenteil wird mehr und mehr deutlich, wie sehr Ozren an seiner Mutter hängt, wie sehr er sie für ihre Schönheit bewundert und vielleicht auch für ihren Fleiß. Sie lässt ihn bis zuletzt im Ungewissen, und damit gibt er sich zufrieden. Dieser Wille zum Verdrängen erklärt wohl, dass weder die Geheimnistuerei seines kumpelhaften Onkels noch die deutlichen Worte von Pepi, der im Bordell arbeitet, ihn von seiner Haltung zur Mutter abbringen. Nur einmal konfrontiert er sie mit einer ebenso obszönen wie naiven Geste, die zeigt, dass er Bescheid weiß. Aber da scheint ihre Bereitschaft, die Mutter zu spielen, schon weitgehend erschöpft. Diese Entwicklung schildert der Wiener Regisseur Michael Sturminger in seinem vierten Film einfühlsam, ohne Larmoyanz, und bewegend, ohne dramaturgische Mätzchen. Es ist jene für den österreichischen Film charakteristische psychologische und inszenatorische Gratwanderung zwischen Gesellschaftsstudie und Karikatur, die „Hurensohn“ trotz des deprimierenden Themas erhebend und erhellend macht. Sturminger scheut sich auch nicht, die Themen Jugoslawienkrieg und Migration einzubringen, aber eben so, wie diejenigen davon sprechen, die das Leid selbst erlebt haben: Es bleibt bei Andeutungen; am liebsten wird das Erlebte verschwiegen. Das unterscheidet den Film von den vielen gut gemeinten Versuchen, dieses traumatisierende Thema ins Kino zu bringen – weshalb beispielsweise die Episode mit dem verschreckten serbischen Mädchen, in das sich Ozren verliebt, eine Randerscheinung bleibt, die sich dennoch dem Gedächtnis einprägt. Hauptmotiv des Films ist jedoch das ödipale Verhältnis zwischen Ozren und seiner Mutter. Zwei, drei Mal betrachtet er sie leicht bekleidet und sieht sie nicht nur als Mutter, sondern als Frau, was diese sofort mit einer Rüge quittiert. Aber nicht nur diese, als pubertäre Verirrung deutbare Zuneigung wird ihm verwehrt, sondern auch die reine Mutterliebe, und das um so mehr, je stärker das Geschäft mit der Liebe floriert. Einmal gibt es eine klassische Jugenddrama-Situation, als Ozren, noch wenig bewandert in der deutschen Sprache, in der Schule ein Weihnachtslied vorsingt, die Mutter aber entgegen ihrem Versprechen nicht auftaucht. Abgesehen davon meidet Sturminger solche bekannten dramaturgischen Verläufe und findet dennoch über den Film-Zeitraum von mehr als zehn Jahren immer wieder bezeichnende kleine Szenen. Hilfreich sind dabei die Ersatzeltern, der Onkel und die Tante, ersterer ein trinkfreudiger Müllmann und Tito-Anhänger, letztere eine gottesfürchtige, allein stehende Frau, die sich berufen fühlen, für Ozren zu sorgen. Sturminger, der überwiegend auf internationalen Musiktheaterbühnen inszeniert, konnte auch auf makellose darstellerische Leistungen setzen: auf Chulpan Khamatova als Mutter, Miki Manoilovic als Onkel, Maria Hofstätter in einer Art Gastrolle als Hure, aber auch auf die drei Darsteller des Ozren.
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