Drama | Großbritannien 2003 | 98 Minuten

Regie: David Mackenzie

Ein gescheiterter englischer Schriftsteller heuert in den 1950er-Jahren auf einem Kohleschlepper an und beginnt eine Affäre mit der Frau des Schiffers. Bis eines Nachmittags eine Tote angetrieben wird, über die der Autor mehr weiß, als er zugeben will. Adaption eines schottischen Skandalromans, dessen gezielte Tabubrüche in der Vorlage wie im Film in intensive Alltagsbeobachtungen eingebettet sind, die ein bodenloses Gefühl der Leere und Zeitlosigkeit erzeugen. Ein hervorragend besetzter, hypnotisch packender, lyrisch-trauriger Film. Die mitunter drastisch in Szene gesetzten Geschehnisse nutzt er als narrative Folie, um eine abgründige Tristesse und einen seelenlosen Zustand greifbar zu machen. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
YOUNG ADAM
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Film Council/HanWay Films/Recorded Picture Comp./Scottish Screen/Sveno Media
Regie
David Mackenzie
Buch
David Mackenzie
Kamera
Giles Nuttgens
Musik
David Byrne
Schnitt
Colin Monie
Darsteller
Ewan McGregor (Joe Taylor) · Tilda Swinton (Ella Gault) · Peter Mullan (Les Gault) · Emily Mortimer (Cathie Dimly) · Jack McElhone (Jim Gault)
Länge
98 Minuten
Kinostart
09.12.2004
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthält eine Partition mit dem Soundtrack des Films (15 Tracks, 51 Min.).

Verleih DVD
Alamode (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Kühle Morgenluft dampft aus dem Wasser, in dem ein regloser Körper treibt. Fast wortlos ziehen zwei Männer die Leiche der leichtbekleideten jungen Frau an Land, betrachten still die Tote. Blicke wechseln zwischen Joe, Les und dessen Frau Ella, die unweit von den Männern schuftet. Joe bedeckt die Leiche, ohne Ella aus den Augen zu lassen. Wenig später sitzen die drei mit Jim, dem Sohn von Les und Ella, in der Kajüte ihres Flusskahns. Gereizt serviert Ella das Essen. Wieder wird nicht viel gesprochen. „Kein Ei heute?“, fragt Joe, was Ella verneint. Doch Joes aufmerksamem Blick entgehen die Eigelbspuren auf den Tellern der anderen nicht. Les und Jim sitzen einfach da, in ihre eigene Welt versunken, dumpf, fordernd. Les redet über die Leiche, Joe antwortet, aber seine Gedanken und Blicke schweifen ab, und nur Ella scheint das zu registrieren. Als Joes Schienbein unter dem Tisch ihre Wade berührt, reagiert sie nicht. Langsam streift Joe seine Hose nach oben, und mit dem ersten Hautkontakt wird die Affäre besiegelt. Einen „Film für Erwachsene“ habe David Mackenzie gedreht, bemerkt Produzent Jeremy Thomas und spielt damit auf die zahlreichen unverblümten Sexszenen an. Parallel zum immer unverhüllteren Ehebruch zwischen Ella und Joe, der als Aushilfskraft auf dem Kohleschlepper angeheuert hat, erinnert sich Joe an seine Beziehung zu Cathie, bei der es sich offensichtlich um die aus dem Wasser geborgene Tote handelt. Hier wie dort zeigt sich Mackenzie indiskret und schamlos direkt – und doch wird derjenige enttäuscht, der sich von der Verfilmung des skandalumwobenen schottischen Beat-Autors Alexander Trocchi, der, heroinabhängig, seine Frau zur Prostitution gezwungen haben soll, reißerisches Provokationskino erhofft. Ein Blick in den Originaltext genügt, um festzustellen, dass „Young Adam“ keine vordergründige Schockliteratur ist, sondern dass die gezielten Tabubrüche in intensive, ausführliche Alltagsbeobachtungen eingebettet sind, die, geschildert aus Joes Perspektive, ein bodenloses Gefühl der Leere und Zeitlosigkeit erzeugen. Von Beginn an greift Mackenzie diesen melancholischen Grundton sowie den schleppenden Erzählrhythmus auf. Es sind die 1950er-Jahre auf den Kanälen zwischen Glasgow und Edinburgh. Geduldig begleitet die Kamera das träge Dahintreiben der Wasserleiche, des Flusskahns und vor allem Joes. Kühl und düster wie im „film noir“ sind Stimmung und Wetter. Unterstützt vom trübselig-träumerischen Score des ehemaligen „Talking Heads“-Frontmanns David Byrne, entfaltet sich eine eindringliche regnerische Poesie, die Joes inneren Seelenzustand, besser sein Gefühl der Seelenlosigkeit spürbar macht. Ziellos auf der Suche nach Orientierung und menschlicher Nähe, greift er nach allem, was in seiner Reichweite liegt. Sex dient ihm lediglich als Ersatzbefriedigung und Lückenfüller; von Zärtlichkeit oder gar Liebe ist nichts zu spüren, wenn er mit Ella zusammen ist. Wie zwangsläufig verstricken sich beide ineinander, fügen sich in ihr körperliches Schicksal, mechanisch, stumm und leidenschaftslos; geradezu zornig und wütend gibt Ella Joes Begehren nach. Die Rückblenden beschreiben auch Joes Beziehung zu Cathie als unerfüllt. Cathies Zuneigung bleibt ohne Gegenliebe, Joe lässt sich von ihr aushalten, um seine schriftstellerischen Ambitionen zu verwirklichen, doch die rechten Gefühle oder Worte findet er nicht. In der drastischsten Szene implodiert Joes Empfindungslosigkeit zu einem rabiaten, demütigenden Sexualakt, bei dem er Cathies Körper mit Ketchup und Senf überschüttet, ehe er ihn lustlos „konsumiert“. An diesem brachial inszenierten dramaturgischen Höhepunkt kommen Tugendwächter wie Voyeure wohl am ehesten noch auf ihre Kosten – doch es ist zugleich der schwächste Moment des Films. Nicht weil er psychologisch nicht nachvollziehbar wäre, sondern weil die grelle Action stilistisch aus dem Rahmen fällt. Handlung ist in „Young Adam“ nicht etwa zweitrangig, weil es keine gäbe; im Gegenteil schildert der Film, wie Joes intime Beziehungen verlaufen, der Ehebruch auffliegt und Les den Kahn verlässt; er enthüllt nach und nach auch, dass Joe am Tod Cathies nicht unschuldig ist. Als ein anderer wegen Mordes an Cathie zum Tode verurteilt werden soll, versucht Joe dies zu verhindern; freisprechen will er damit in erster Linie sich selbst. All diese Geschehnisse erzählt der Film wie nebenbei, nutzt sie als narrative Folie, um das zu vermitteln, worauf es ihm in erster Linie ankommt: Atmosphäre. Joes Charakter, seine Stimmungs- und Gefühlslage verdichten sich zu einer Tristesse, die äußerlich greifbar wird; auch weil die Schauspieler sie verinnerlicht haben. Ewan McGregor und Tilda Swinton treten so bedingungslos hinter ihre Rollen zurück, dass man darüber hinwegsehen mag, dass die Romanfiguren einmal mehr fürs Kino „schöngecastet“ wurden. Hypnotisch packend taucht „Young Adam“ Sinnlosigkeit in Sinnlichkeit, um aus dem Mangel an Gefühl eine diffuse Sehnsucht erwachen zu lassen. Ein wunderschöner, trauriger, lyrischer Film, ein kleines Meisterstück.
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