- | USA/Frankreich 2002 | 107 Minuten

Regie: Todd Haynes

Das störungsfreie Leben eines Ehepaars in einer amerikanischen Kleinstadt während der 1950er-Jahre gerät ins Wanken, als die homosexuelle Veranlagung des Ehemanns zu Tage tritt und die Frau eines Verhältnisses mit dem schwarzen Gärtner beschuldigt wird. Ein meisterhaftes doppelbödiges Melodram, das vor allem die Position der Frau in einer von Vorurteilen und Repressionen beherrschten Gesellschaft hinterfragt. Äußerliche Bildschönheit und inhaltliche Konfrontationslust gehen eine ideale Symbiose ein. Gleichzeitig eine ästhetisch subtile Hommage auf die Filme von Douglas Sirk. (Lobende Erwähnung der SIGNIS-Jury in Venedig 2002) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FAR FROM HEAVEN | LOIN DU PARADIS
Produktionsland
USA/Frankreich
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Clear Blue Sky/John Wells Prod./Killer Films/Section Eight/USA Films/Vulcan/TF 1
Regie
Todd Haynes
Buch
Todd Haynes
Kamera
Edward Lachman
Musik
Elmer Bernstein
Schnitt
James Lyons
Darsteller
Julianne Moore (Cathy Whitaker) · Dennis Quaid (Frank Whitaker) · Dennis Haysbert (Raymond Deagan) · Patricia Clarkson (Eleanor Fine) · Viola Davis (Sybill)
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Concorde (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt., DTS dt.)
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Diskussion
Todd Haynes’ „Dem Himmel so fern“ ist der schönste und gleichzeitig dekouvrierendste Hollywood-Film seit langer Zeit. Er schwelgt in so überwältigenden Dekors, Kostümen und Farben, dass man sich nicht satt sehen kann. Hinter ihnen aber bringt er gleichzeitig so viel Falschheit und Oppression zum Ausdruck, dass all die schönen Gefühle zu schillerndem Zuckerguss gefrieren. Es ist nicht mehr und nicht weniger als das amerikanische Lebensgefühl, gesellschaftliche Vorurteile und die Selbstsucht amerikanischer Konventionen, mit denen sich Haynes hier anlegt. Dabei dienen ihm zahlreiche literarische und filmische Vorbilder als Leitfaden, vor allem der Exil-Deutsche Douglas Sirk, jener vielfach verkannte Meister doppelbödiger Melodramen, auf die Haynes wie durch ein Brennglas zurückblickt. „Dem Himmel so fern“ entführt den Zuschauer in die 50er-Jahre und in die Filme der 50er-Jahre. Gleich mit der eröffnenden Einstellung, in der die betörende Farbpalette des Herbstlaubs die Wirklichkeit des Bahnhofsviertels einer kleinen Industriestadt zu einem poetischen Konstrukt von melancholischer Nostalgie verklärt, definiert Haynes Stil und Absicht seines Films: die Welt zu zeigen, wie Sirk sie gezeigt hat, aber stets mit der Möglichkeit, den schönen Schein zu durchschauen. Sirk musste sich in die Ironie flüchten, um die Lebenslügen seiner Epoche zu konfrontieren; Haynes besitzt den Luxus, die Tabus an- und aussprechen zu können. Das Melodram – die Soap Opera, würden wir heute sagen – hat seine große Stunde; aber die Personen, die so federleicht das Flair von Jane Wyman und Lana Turner, von Rock Hudson und John Gavin verlebendigen, dürfen tun und leiden, was ihnen der Production Code und die repressive Stimmung in den 50er-Jahren streng verboten hätten. Hartford in Connecticut ist Schauplatz der Story, eine Kleinstadt, in der das Leben aus komfortablen Villen und gesellschaftlichen Ereignissen zu bestehen scheint. Soziale Ungleichheiten werden unter den hochflorigen Teppich gekehrt, und selbstgefällig mildtätige Aktivitäten gehören zur sozialen Freizeitbeschäftigung. Alles hat seine banale und störungsfreie Ordnung im Leben des erfolgreichen Sales Executives Frank Whitaker, seiner eleganten Frau Cathy und ihrer oberflächlichen Clique von Freunden. Bis es zur schier unfassbaren Katastrophe kommt. Cathy entdeckt die bisher geschickt verborgene homosexuelle Veranlagung ihres Mannes, und Frank sieht sich Gerüchten konfrontiert, die vom Umgang seiner Frau mit einem schwarzen Gärtner tuscheln. Haynes rückt mit der Selbstverständlichkeit des beginnenden 21. Jahrhunderts in den Mittelpunkt, was in einem Douglas-Sirk-Film kaum eine Ahnung, geschweige denn ein Thema sein durfte: Sirks Gärtner in „Was der Himmel erlaubt“ (fd 4 755) war natürlich kein Farbiger; in Fassbinders Version „Angst essen Seele auf“ (fd 18 756) sah das schon anders aus. Der blaue Himmel von New England strahlt noch blauer als blau, das Rot und Orange der Bäume glänzt in hinreißender Technicolor-Renaissance, die Frisuren der Damen guter Gesellschaft sind ornamentale Traumgebilde, die Kleider verführerische Kreationen aus Chiffon und Seide, die Farbe der Lippen spiegelt Revlons „Cherries in the Snow“. Das ist Eisenhowers idyllisches Kleinstadt-Amerika. Aber wie hinter der politischen Oberfläche McCarthy und die Anfänge der Kuba-Krise lauerten, so ist auch die Welt in Hartford nicht so in Ordnung, wie es den äußeren Anschein hat. Inmitten einer vollkommen ästhetisierten Filmkulisse reihen sich die Negativseiten des Amerikas der 50er-Jahre zu unübersehbar fortwirkender historischer Signifikanz auf: Die „family values“ offenbaren ihre Verantwortlichkeit für familiäre und politische Unsicherheit, für individuelle Angst und für schlecht verhohlenen Rassismus. Haynes hat offensichtlich die Filme der 50er-Jahre eingehend studiert. Wahrscheinlich wäre er in der Lage, ein ganzes Kompendium über Frauenrollen im Hollywood-Film zu schreiben. Es ist seine Cathy, an der sich vor allem Anteilnahme und Mitgefühl des Zuschauers entzünden. So natürlich und befreiend es wäre, wenn sie sich mit dem sanftmütigen schwarzen Gärtner einen Augenblick lang in die gepflegten Rhododendronbüsche schlagen würde, lässt sie sich natürlich nichts zu Schulden kommen. Ihr fällt die Rolle der Verzichtenden zu. Sie versucht sogar zu verstehen, was es heißt, homosexuell zu sein. Sie ist es, die am extremsten unter den gesellschaftlichen Mechanismen ihrer Zeit leidet. Die größte Kunst der Inszenierung besteht darin, dass Haynes es fertig bringt, den Zuschauer mit all seinen Gefühlen und vielleicht auch Erinnerungen in das Amerika der 50er-Jahre zurückzuversetzen, ihm gleichzeitig aber ständig die Einsichten und Erkenntnisse der Gegenwart abzuverlangen. Man kann bei diesem Film in Schönheit und Bewunderung schwelgen, kann mit den so liebevoll ziselierten Protagonisten weinen, aber man kann die Geschichte auch sehr rational als Reflex einer humanen und sozialen Entwicklung betrachten, die bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossen ist. Die Repressionen jener Zeit mögen scheinbaren Freiheiten gewichen sein, aber jedes Bild in Haynes´ Film hinterlässt den bitteren Beigeschmack, dass wir sie nur durch andere schlechte Gewohnheiten ersetzt haben. Die amerikanische Selbstgerechtigkeit, die „Dem Himmel so fern“ vor allem am Schicksal seiner weiblichen Hauptfigur aufs Korn nimmt, ist noch weit von jeder Bewältigung entfernt. Der Film endet mit einer Wiederaufnahme der Anfangssequenz. Noch einmal ist es das Bahnhofsviertel, über dessen Gebäude und Straßen die Kamera schwenkt. Aber die leuchtenden bunten Blätter sind von den Bäumen gefallen, und alles sieht nackt und trostlos aus. Nur ein einzelner, viel zu früher Blütenzweig schiebt sich zögerlich ins Bild – zaghaftes Sinnbild einer vielleicht noch nicht ganz verspielten Hoffnung?
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