- | Italien/Deutschland 2001 | 86 Minuten

Regie: Enzo D'Alò

Michael Endes berühmter Roman vom Waisenmädchen, das den Zeitdieben ein Schnippchen schlägt und die Menschheit rettet, als Zeichentrickversion. Weitgehend originalgetreue Verfilmung, die den Einbruch des Fantastischen in eine übertechnisierte Welt beschreibt, jedoch die gestalterischen Möglichkeiten nicht auszuschöpfen vermag. - Ab 10 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
MOMO
Produktionsland
Italien/Deutschland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Cecchi Gori Group Tiger Cinematografica/Taurus
Regie
Enzo D'Alò
Buch
Enzo D'Alò · Umberto Marino
Musik
Gianna Nannini
Schnitt
Simona Paggi
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10 möglich.
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Heimkino

Verleih DVD
BMG (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
„Die Tatsache, dass Zeit messbar ist, also unterteilt werden kann in Tage, Stunden, Minuten, beweist eigentlich – mathematisch –, dass sie nicht unendlich ist, denn eine halbe Unendlichkeit ist ja selbst wieder unendlich und so jedes ihrer Teile“, sagte der Schriftsteller Michael Ende (1929-95). „Wäre Zeit unendlich, so müsste es auch jede Sekunde sein. Ist sie aber endlich, so ist sie im Grunde nur Schein in einer zeitlosen Wirklichkeit.“ Endes Roman „Momo oder Die seltsame Geschichte von den Zeitdieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte“ (1973) beschäftigt sich in poetisch-philosophischer Weise mit den Phänomenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und avancierte zum Kultbuch mit Lebenshilfecharakter für kleine und große Leser. Während seine skurril-sympathischen Fantasiegestalten Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, kongenial auf dem Fernsehbildschirm zu (Marionetten-)Leben erweckt wurden, kann man die Realfilm-Adaptionen von „Die unendliche Geschichte“ (fd 24 516) und „Momo“ (fd 25 711) aus den 80er-Jahren als nicht sonderlich gelungen bezeichnen. Insofern ist schon der Versuch, Endes Bestseller mittels Zeichentrickfilm eigene visuelle Akzente abzugewinnen, lobenswert. Regisseur Enzo D’Alò, der sich im Animationskino mit „Der blaue Pfeil“ (fd 32 284) und „Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte“ (fd 34 531) einen Namen machte, bemüht sich um Werktreue: Das vagabundierende Mädchen Momo findet im Taumel einer modernen Metropole Unterschlupf in einer kleinen Amphitheaterruine. Die Waisin mit schwarzem Lockenschopf und melancholischen Kulleraugen besitzt eine seltene Fähigkeit: das Zuhören. Dadurch vermag sie, die Fantasie ihrer Besucher zu wecken. Eines Tages stören „Graue Herren“ als Vertreter einer ominösen „Zeitsparkasse“ die Idylle am Rand der Stadt. Momos Mitmenschen verfallen dem Ehrgeiz, Sekunden, Minuten, Stunden, ja, Tage, Wochen, Monate und Jahre einzusparen, um vermeintlich zu Geld und Einfluss zu gelangen. Einzig Momo erliegt den Verführungskünsten der Zeitdiebe nicht. Verfolgt von den „Grauen Herren“, wird sie von der Schildkröte Kassiopeia zu Meister Hora geführt. Um die teuflischen Pläne der ihn umzingelnden „Grauen Herren“ zu durchkreuzen, verfällt der Verwalter der Lebenszeit erstmals in Schlaf, was die Welt zum Stillstand bringt. Momo bleibt nur eine Stunde zur Rettung der Menschheit; sie muss den Zeitspeicher der „Grauen Herren“ ausfindig machen und zerstören, denn ohne gestohlene Zeit können diese nicht existieren. Enzo D’Alò hat nur geringfügige inhaltliche Veränderungen vorgenommen, diese allerdings schmählern den guten Gesamteindruck: Aus Momos engstem Erwachsenenfreund Gigi Fremdenführer ist ein kleiner Junge geworden, der sich in (unerwiederter) Liebe zum Straßenkind verzehrt. Auf derlei Sentiment verzichtete Ende zum Glück. Im Roman hat Meister Hora nur in Kassiopeia eine treue Gefährtin, im Film symbolisieren im Stundenhaus Hahn und Eule zusätzlich Tag und Nacht. Unvermeidlich, dass die beiden allzu albernen Figuren im Dauerstreit miteinander liegen. Momo selbst, von der niemand genau weiß, woher sie gekommen ist, scheint aufgrund ihrers Aussehens einem japanischen Manga-Comic entsprungen zu sein. Dabei ist Endes Parabel über den Wert der Zeit in einer schnelllebigen Gesellschaft ein versteckter Gruß an die „ewige Stadt“ Rom. Jahrelang residitierte der Schriftsteller in der in einem Randbezirk gelegenen Villa Casa Liocorno („Das Einhorn“) mit seinen Hunden, Katzen und einer Schildkröte (sic!). Ansonsten bleibt der Film dem Geist des Originals treu: Der Einbruch des Fantastischen in eine übertechnisierte Welt wird mit kühnen, manchmal expressionistisch anmutenden Strichen und großer Detailgenauigkeit nachgezeichnet. Auf dem Weg über eine Erneuerung des romantischen Mythos vom reinen, nahezu gottähnlichen Kind, dass die kleine Schwester des „Star Childs“ in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ (fd 15 732) sein könnte, wird dem Zuschauer eine Art religiös-metaphysische Botschaft vermittelt. Das römische Amphitheater ist als Anspielung auf vorchristliche Erlösungsmythen deutbar, Momo als weltliche Jesus-Kind-Figur und der wie ein einfacher Gärtner gekleidete Meister Hora als Gottvater mit eingeschränkter Machtvollkommenheit. Bei der musikalischen Untermalung werden neue Pfade bestritten, wobei Gianna Nanninis rockiger Soundtrack die richtige Mischung aus lyrischen und bedrohlichen Elementen enthält. Bei allen Vorzügen, die dieser Zeichentrickfilm gegenüber dem Realfilm besitzt, ist die atmosphärisch dichteste Adaption von Endes Meisterwerk in den Asservatenkammern des öffentlich-rechtlichen Fernsehens verstaubt: Wer erinnert sich noch an die „Momo“-Episode aus „Lemmi und die Schmöker“? Anhängern des Märchenromans sei darüber hinaus das dreiteilige Hörspiel von Anke Beckert (1975; Vertrieb: Karussel) empfohlen, das ein Wiederhören mit Schauspielern wie Wolfgang Kieling, Harald Leibnitz und Günther Strack sowie Irina Wanka als Momo ermöglicht.
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