Schon im Kleinstadtinternat erregt der junge Paul Körner auf Grund einer innigen Freundschaft mit seinem Kameraden Max Misstrauen und wird der Schule verwiesen. Während des Studiums isoliert er sich freiwillig vom Party-Alltag und entwickelt sich zu einem erfolgreichen Violin-Virtuosen. Nach einem Faschingsball holt er sich statt eines Liebhabers einen Erpresser ins Haus: Der skrupellose Franz Bollek droht, Körner wegen Verstoßes gegen Paragraph 175 anzuzeigen - hilflos leistet Körner zweimal Zahlungen. Auch das Liebesverhältnis mit dem jungen Konzertbesucher Kurt leidet unter der Gegenwart des Erpressers, der sogar als Einbrecher auftaucht. Jetzt zeigt Körner seinen Peiniger an, der ihn prompt denunziert. Körner wird zwar nur zur Mindeststrafe von einem Tag Gefängnis verurteilt, sieht sich jedoch als von der Gesellschaft geächtet und sogar von Kurt verlassen. Mit Gift nimmt er sich das Leben und schließt sich einem langen Zug der Opfer des Paragraphen an.Als im November 1999 Sexualaufklärungsfilme aus dem Deutschland der Weimarer Republik beim Hamburger CineGraph-Kongress untersucht wurden, verlor eine Legende ein wenig von ihrem Glanz: Es ist zumindest kein Filmmaterial erhalten, das in seiner künstlerischen Strenge und thematischen Konzentriertheit an diesen wohl berühmtesten Film der Gattung heranreicht. Umso mehr erstrahlt dieser Klassiker, der nun in neuer Rekonstruktion vorliegt. Leider überlebte nur eine späte Kurzfassung des ursprünglich zweieinhalbmal so langen Films, die sich einer anderen Erzählstruktur bedient - ursprünglich war dieser vom berühmten Sexualforscher Magnus Hirschfeld initiierte und geschriebene Film ein frühes Beispiel für Semidokumentarismus, organisiert um eine zentrale Vorlesung Hirschfelds. Doch gerade der erhaltene Spielfilm (man würde heute von einem Dokudrama, sprechen) offenbart in seiner Beschränkung und gleichzeitigen inszenatorischen Nuanciertheit Qualitäten, die diese heute im Fernsehen wieder populäre Filmform nur selten erreicht.Die vorliegende Fassung (eine Rekonstruktion des Münchner Filmmuseums in Zusammenarbeit mit der KirchGruppe) entspricht weitgehend einer von Hirschfeld selbst 1927 als Episode seines Dokumentarfilms „Gesetze der Liebe“ eingesetzten Fassung, die sich als ukrainische Exportversion im Moskauer Gosfilmofond erhalten hat. Auch wenn offensichtlich wichtige Bilder fehlen (wie der Zug der Opfer des Paragraphen), überrascht, wie modern die Inszenierung von 1919 noch im Jahr 1927 gewirkt haben muss. Conrad Veidt zeigt sich zur Entstehungszeit von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ unzweifelhaft von dieser Welt, aber freilich ohne die aus Wienes Film berühmte Egon-Schielesche Physiognomie ungenutzt zu lassen. Er ist als Homosexueller überaus glaubhaft, gerade weil er jede Tuntigkeit vermeidet und durch eine, auch im immensen Spektrum dieses Schauspielers noch überraschende Individualität ersetzt: „Anders als die Andern“, nennt es der Titel. Veidt verwandelt es in die Ausstrahlung unbezwingbarer Körperlichkeit, einen Ausdrucks des Aparten, der sich seine eigenen Codes der erotischen Attraktion erspielt. Veidts Distanziertheit bei gleichzeitiger innerer Zerrissenheit, die er gegenüber dem Erpresser einnimmt, ist meisterhaft. Die vielleicht eindrucksvollste Szene aber ist eine hochexpressive Einstellung, in der der Liebhaber Kurt nach dem Kampf mit dem Erpresser zu Veidt emotional auf Distanz geht: Nur im Gesicht spielt sich dieser Prozess des inneren Treuebruchs ab, der durch den äußeren Schock ausgelöst worden ist: ein leichtes Verhärten, unmerklich für den Partner und doch bereits endgültig.Obwohl das an einem authentischen Fall orientierte Drehbuch äußere Melodramatik komplett vermeidet, überzeugt „Anders als die Andern“ gerade durch seine Emotionalität - eine Qualität, die diesen Film weit über den Status als Aufklärungsfilm hinaus interessant macht als frühes Beispiel des Kammerspielfilms. (Die von arte erstellte neue Musikfassung konnte vorab nicht gehört werden.)