Die wenigen westlichen Samurai, die im Kino außerhalb ihrer spirituellen Heimat Japan leben, sind notgedrungen Einzelgänger. Für Außenstehende sind die Philosophie und die Regeln, denen sie folgen, nicht nachvollziehbar. Das traf schon 1967 bei Jean-Pierre Melvilles „Der eiskalte Engel“
(fd 15 540) zu, dem europäischen Samurai-Film schlechthin. Gut drei Jahrzehnte später dankt der Amerikaner Jim Jarmusch (im Nachspann) nicht nur Kurosawa, Suzuki und Melville für ihre Samurai-Figuren, sondern auch Cervantes. Doch die neue Samurai-Figur, die Jarmusch erfindet, trägt nicht nur die mythisch-traurige Vergangenheit in sich, sondern auch die Gegenwart: Der US-Samurai der 90er-Jahre ist nicht minder charismatisch als seinerzeit der wortkarge schmale Alain Delon. Wer würde schon hinter einem dicken farbigen Mann mit eng am Kopf geflochtenen Rasta-Zöpfchen einen Samurai vermuten? Mit seinem schwarzen Kapuzen-T-Shirt, dem schwarzen Parka, der weiten schwarzen Jogginghose und dem viel zu großen Gold-Medaillon mit den drei Schlangen um den Hals sieht er eher wie ein etwas behäbiger Rapper aus. Wenn er langsam und lautlos durch die Straßen der Großstadt gleitet, scheint er schwerelos zu sein, sein massiger Körper wiegt sich im Rhythmus der rap-betonten Begleitmusik, die ihn genauso leitet wie die Aphorismen aus dem Samurai-Buch, die als Zwischentitel immer wieder die Handlung unterbrechen - und doch nichts erklären.Ghost Dog lebt auf dem Dach eines Hochhauses mit seinen Tauben, die ihm als Boten dienen - im Zeitalter von Internet und Handy ein Anachronismus, der ihn schützt und quasi unsichtbar macht. Er arbeitet für den Mafia-Kleinboss Louie, weil der ihm als Kind bei einer Schießerei das Leben rettete. Als Ghost Dog bei einem Auftrag eine zufällig anwesende junge Frau laufen lässt (das tat auch schon Delon), will der Kopf der Mafia-Familie den unzuverlässigen Killer töten. Ghost Dog wird zum Gejagten, zum „Dead Man“. Die Mafiosi locken ihn in eine Falle. Auch bei der Gegenabwehr folgt Ghost Dog strikt seinem Samurai-Regelbuch, das eine Art Bibel für ihn darstellt. So kann er mancher Intrige entrinnen, aber nicht seinem Schicksal, denn wie steht es in seinem Buch: „Der Weg des Samurai führt zum Tod. Er muss jeden Tag über den unvermeidlichen Tod meditieren.“ Über den eigenen wie den seiner Gegner, das ist der Grundgedanke, der „Dead Man“
(fd 31 716) und auch diesem Film zugrunde liegt.Hätte sich Jarmusch darauf beschränkt, einen strengen gesellschaftskritischen Samurai-Film im Amerika der Gegenwart zu drehen, hätte „Ghost Dog“ vielleicht ein Kultfilm werden können - allein schon wegen Forest Whitaker in seiner besten Rolle seit der des Jazz-Saxophonisten Charlie Parker in Eastwoods „Bird“
(fd 27 176). Immer wieder aber gewinnen andere Elemente die Oberhand, vor allem die vielen Mafiosi, die in ihren Gesprächen und nicht minder strengen Ritualen als klischeehaft dumm dargestellt werden. Diese Ausflüge in die Parodie, gepaart mit einer simpel umgedrehten Typisierung (Ghost Dog tötet nur die bösen Weißen), zerstören die vorher so sorgsam aufgebaute mythische Atmosphäre mit den wunderschön farbsatt-dunklen Bildern von Kameramann Robby Müller und den eingängigen Samplings von RZA, dem Kopf der New Yorker Rapband „Wu Tang Clan“. Die überdrehte Mafia-Komik will auch nicht zu dem subtilen Witz des Samurai passen, der einen Mafioso tötet, indem er ihn überrascht, wenn er es am wenigstens erwartet - beim Fernsehen. Ghost Dog schneidet einfach das Fernsehkabel durch, worauf der Mafioso ganz hektisch wird und alle Vorsicht vergisst. „Wir sind wie zwei alte Stämme, die fast ausgestorben sind - und um uns herum scheint sich alles zu verändern“, sinniert Ghost Dog. Doch im Gegensatz zu den Mafiosi, die unter sich bleiben, kommuniziert der Samurai durchaus mit der Außenwelt: Er unterhält sich mit Raymond, dem ebenfalls farbigen Eisverkäufer (afrikanischer Abstammung), der nur Französisch spricht, was Ghost Dog nicht versteht, doch die Fragen und Antworten der beiden passen trotzdem zueinander. Auch mit dem schwarzen Schulmädchen Pearline, das Ghost Dog häufiger im Park trifft, gibt es ein märchenhaftes Einverständnis - sie sprechen über Bücher, und dass viel Wahrheit in ihnen steckt.Spät erst erfährt Ghost Dog, dass ihn ausgerechnet sein bester Freund Louie täuschte und ihre Freundschaft sowie sein Leben auf seiner Lüge beruht, hat doch der Mafioso die erste Begegnung mit Ghost Dog als kleinem Jungen ganz anders in Erinnerung: Louie sah damals nur, dass eine Waffe auf ihn gerichtet war, als er den Widersacher erschoss; dass er damit auch Ghost Dog rettete, war reiner Zufall. Erst jetzt, Jahrzehnte später, da Louie den Auftrag hat, Ghost Dog zu töten, kommt die Wahrheit ans Tageslicht. Dass Ghost Dog den Showdown (gefilmt in bester Western-Manier) nicht gewinnen kann, wusste er schon vorher. Am Ende ist es die kleine Pearline, die fasziniert das Samurai-Regelbuch liest, das er ihr über Raymond zukommen ließ. Ein schwarzer weiblicher Samurai? So spielerisch, versöhnlich und zukunftsgerichtet war bislang noch kein Film von Jim Jarmusch.