Eine Kerzenflamme im Dunkel, Hände, die über Halme, Blätter, Erde oder
Haut streichen, Bewegungen von Wind und Wasser, das Spiel des
Sonnenlichts auf der kühnen Architektur einer Großstadt, das Farbenspiel
planetarischer Nebel, die zarte Verschmelzung zweier Zellen zu neuem
Leben. Immer wieder menschliche Gesichter, menschliche Körper. Und (aus
dem Off) die Sprache als Versuch, eine Brücke zum Unsichtbaren zu bauen,
zum Ungreifbaren vor oder hinter allen Dingen: Gebete, Fragen. Seit
„The Tree of Life“ (2011) gestalten sich Terrence Malicks Filme als
spirituelle Aventuire oder Pilgerfahrt, als formale wie inhaltliche
Tastbewegungen, um das Verhältnis von Mensch, Schöpfung und Gott neu zu
fassen. Und das mit einer ironiefreien Ernsthaftigkeit und Offenheit,
die genauso quer steht zur modernen, aufgeklärten kritischen Distanz
gegenüber der Religion wie zu den denkfaulen Gewissheiten religiöser
Fundamentalisten.
Am Anfang von „The Tree of Life“ steht ein Zitat aus dem Buch Hiob, aus
der Rede Gottes, die die Klage des unverdient Leidenden mit Hinweis auf
die Majestät und Schönheit des Schöpfungswerks kontert: „Wo warst du, da
ich die Erde gründete? Da mich die Morgensterne miteinander lobten und
jauchzten alle Kinder Gottes?“ „The Tree of Life“ liefert eine
Neuinterpretation der um die Theodizee kreisenden Geschichte des
alttestamentarischen Buchs. Statt Hiob ist es eine texanische Familie,
an deren allmählichem Zerbrechen Malick die alte Frage nach dem Grund
des Leidens festmacht. Das anfänglich harmonische Zusammensein der aus
Vater (Brad Pitt), Mutter (Jessica Chastain) und drei Söhnen bestehenden
Kleinfamilie in den 1950er-Jahren trübt sich, weil die rigiden
Erziehungsmethoden des Vaters ihn den anderen entfremden. Der Tod des
mittleren Sohns im Vietnam-Krieg zerstört das Glück endgültig.
Konterkariert wird dieses achronologisch und elliptisch überwiegend als
Erinnerung des ältesten Sohns aufgerollte Familienporträt durch
Sequenzen, in denen Malick ein filmisches Pendant zu den Reden Gottes im
Buch Hiob schafft: ein majestätischer Bilderreigen als visueller Rausch
um die Entstehung der Erde und des Lebens vom Makro- bis hinein in den
Mikrokosmos.
Während sich Malick zuvor notorisch rarmachte („Der schmale Grat“ entstand 1998; „The New World“ 2005), ist er seit „The Tree of Life“ in eine für seine Verhältnisse geradezu fiebrige Schaffensphase eingetreten. Seitdem entstand ein Werkkorpus, der sich nur noch in Ansätzen an die Spielregeln des narrativen Kinos hält und sich mehr als lyrischer „Stream of Consciousness“ aus gleitenden Kamerabewegungen, Off-Texten, Dialogen, Musik und Tönen entfaltet. Vier dieser Filme liegen nun in einer Box vor: „The Tree of Life“ (2011), „To the Wonder“ (2012), „Knight of Cups“ (2015) und „Song to Song“ (2017), wobei letzterer, ein Musik- und Liebesdrama mit Cameo-Auftritten diverser Musiker, inhaltlich aus der Reihe der spirituellen Reflexionen fällt. Besser gepasst hätte Malicks Dokumentarfilm „Voyage of Time: Life’s Journey“ (2016), der aber erst Ende Februar 2018 erscheint. Mit diesen Filmen ist Malick auf verblüffende Weise aus der Reserve gegangen, hat sich angreifbar gemacht: Die ausgesuchte Schönheit der Bilder, mit der er eine Art Hohelied auf die stoffliche Welt anstimmt, sowie die assoziative Erzählstruktur empfinden viele als kunstgewerblich; die feierliche Inbrunst, mit der Malick die Widersprüche der menschlichen Existenz, die Frage nach dem Sinn des Lebens und nach der Beziehung von Schöpfer und Schöpfung auslotet, mag manchem sogar peinlich sein. Warum aber nicht inbrünstig werden, wenn es um Grundfragen des Daseins geht? Malicks Filme suchen keinen Sicherheitsabstand, keinen gesicherten Standpunkt. Sie fließen und bringen zugleich das Denken ins Fließen.
Die DVD/BD-Box "Terrence Malick Collection" ist bei Studio Canal erschienen. Der jüngste Malick-Film "Voyage of Time: Life's Journey" erscheint in einer 90-minütigen Fassung im Februar bei Universum Home Entertainment.