Er verließ schon als Teenager die Schule, um Schauspieler zu werden und lernte sein Handwerk bei den legendären Lehrern Stella Adler und Lee Strasberg. In den 1970er-Jahren stieg er durch seine Zusammenarbeit mit Martin Scorsese zu einem der wichtigsten US-Schauspieler seiner Generation auf. Robert de Niro, geboren am 17. August 1943, ist eine Legende. Daran haben auch seine Auftritte in peinlichen Komödien während der letzten Jahre nichts ändern können. Eine Hommage zum 80. Geburtstag in 80 Beobachtungen.
Über
Robert De Niro ist gleichermaßen alles und nichts geschrieben
worden. Seine ikonischen Rollen aus Filmen wie „Taxi Driver“, „Der Pate 2“ oder „Die durch die Hölle gehen“ gehören zum
popkulturellen Allgemeinwissen; sein Privatleben hält der Schauspieler hingegen
seit jeher von der Öffentlichkeit fern. Die folgenden 80 Beobachtungen zu
seinem 80. Geburtstag fokussieren auf das, was auf der Leinwand zu sehen ist
oder war, nämlich einen der größten Schauspieler aller Zeiten, der in jüngerer
Zeit in unglaublich vielen schlechten Filmen mitwirkte. Wenn in den folgenden
Zeilen der Darsteller De Niro ab und an mit seinen Rollen verwechselt wird,
liegt das primär an seiner Fähigkeit, immer zugleich er selbst zu sein und
völlig in der Rolle zu verschwinden.
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De Niro bewegt die Augen, er bewegt mit seinen nussbraunen Augen, er kann mit den Augen die Dinge sagen, für die es keine Worte gibt. Manchmal bewegen sich nur die Pupillen. Etwa in „Fesseln der Macht“ von Ulu Grosbard. Dort spielt er einen Priester, der im Angesicht von einigen von der Kirche verdeckten Sexualverbrechen unsicher ist, ob er seine Karriere oder seine Moral schützen soll. Er lauscht dem, was gesagt wird, regungslos; nur die Augen pendeln hin und her und verraten die Zerrissenheit seiner nervösen Seele.
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Im selben Film spielt er Golf, und einige Typen reden schlecht über seinen Bruder, der als Polizist gegen die Kirche ermittelt. Da macht De Niro etwas, das er immer macht. Er hebt den Blick, schaut die Menschen ein oder zwei Sekunden intensiv an, und dann senkt er sein Haupt wieder, als hätte er gar nichts gehört. Er versteckt sich in sich selbst, und alle sehen ihm dabei zu. Diese Bewegung stellt vor allem eine Frage: Was denkt dieser Mensch? Die daraus resultierende Unsicherheit gegenüber den Motivationen seiner Figuren verhindert eine leichte Identifikation. Stattdessen arbeitet er mit seiner Mimik wie sonst nur der Schnitt im klassischen Hollywoodkino, das heißt, er nutzt sie stets so, dass man sich fragt, was als nächstes passiert.
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Diesen intensiven Blick, der sich nach einigen Sekunden abwendet, gibt es auch in Liebesszenen. Davon begegnet man im Werk von De Niro nicht gerade vielen, aber die, die es gibt, hallen nach. Zum Beispiel in „Der Liebe verfallen“, ebenfalls von Ulu Grosbard. Dort verliebt er sich auf der Zugfahrt in die Stadt in die von Meryl Streep gespielte Molly. Er schaut und schaut wieder weg, schaut und schaut wieder weg, schaut länger, überlegt, schaut wieder weg. Zwischen den Blicken verliebt nicht nur er sich, sondern wir uns mit ihm.
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Liza Minnelli, die mit ihm in „New York, New York“ spielte: „Seine Augen schauen nach außen, aber auch nach innen.“
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Da er so viel mit seinen Blicken arbeitet, bedarf es weniger Worte. Viele von De Niros Figuren sind wortkarg. Nicht so in „Night and the City” von Irwin Winkler. Darin spielt er einen äußerst redseligen New Yorker Anwalt. Seine hastigen, hektischen Bewegungen lassen den sonst geradezu stoisch in den eigenen Krisen ruhenden Schauspieler erscheinen, als wäre er nicht er selbst. Wo De Niro sonst das innere Brodeln spielt, die sich langsam aufbauende Gewalt, den Zweifel, da spielt er hier einen jener Menschen, die immerzu reden müssen, um nicht zu spüren, wie schlecht es ihnen geht. Trotzdem schaut er, während er redet, in die Augen einer Frau, und wir sehen, dass er genauso redet, wie er anderswo schweigt: Er versteckt, was er fühlt.
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Mit Irwin Winkler verbindet De Niro eine ganze Menge, schließlich produzierte der hauptsächlich als Produzent arbeitende US-Amerikaner seit „Wo Gangster um die Ecke knallen“, eine ziemlich anstrengende, in ihrem Umgang mit italo-amerikanischer Kultur rassistische Arbeit, einige Filme mit De Niro, darunter „Wie ein wilder Stier“.
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Die
Nähe zur italienischen Kultur, die im Namen „De Niro“ präsenter ist als in der
eigentlichen Familiengeschichte ist, begleitet De Niro, der meist mit einem
knapp geatmeten New Yorker Akzent spricht. Sein Sizilianisch in „Der Pate 2“ erscheint holpriger als seine Gesten, die so wohl überlegt wie
emotional ausufernd über seinen Körper kommen. Die zahlreichen Gangster italienischer
Prägung erhalten von De Niro stets einen guten Schuss Paranoia ins Blut injiziert.
Dann sind es wieder ihre Augen, beispielsweise im Falle Al Capones in „The Untouchables – Die Unbestechlichen“ von Brian De Palma. Diese
Verbrecher bewahren sich die Attraktivität ihrer Freiheit und Macht, aber in
ihrem Blick zeigt sich ein schwer zu beschreibendes Leiden, das ihren Lebensweg
weitaus fataler erscheinen lässt als ihr in Hollywood obligatorisches Ableben.
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… Robert De Niro's waiting / Talking Italian, wie es im Popsong der Girlband Bananarama aus den 1980er Jahren heißt.
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Die Eröffnungsszene in „Wie ein wilder Stier“. Nie hat ein Schauspieler die Balance zwischen animalischer Wildheit und kontrollierter Eleganz so gespielt wie De Niro. Sein Springen im Boxring verwandelt ihn in Rilkes Panther, sein ins Nirgendwo gerichteter Blick, sein gestählter, geschundener Körper erheben diesen Menschen zu mehr als einem Individuum, er wird zu einer Idee von Menschlichkeit. Das berührt, verstört und begeistert.
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In
vielen Filmen spielt De Niro ältere Versionen seiner Figuren. Dazu gehören „The Irishman“ oder eben „Wie ein wilder Stier“. Schaut man
sich manche der Rollen De Niros in den vergangenen Jahren an, bekommt man den
Eindruck, dass er nicht gerade würdevoll gealtert ist. Gut also, dass er sein
Altern schon in vielen Filmen mitgespielt hat, beispielsweise in „Es war einmal in Amerika“ mit Geheimratsecken, Trauerblick und zur Musik von
den Beatles, Yesterday.
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Seit Filmen wie „Meine Braut, ihr Vater und ich“ hat sich De Niro auf die Rolle der skeptischen, neurotischen, bisweilen völlig durchgeknallten Väter spezialisiert. Eigentlich sind diese Figuren genauso wie das Interesse an der Komödie aber bereits in seinen ersten Filmen angelegt, etwa in „Greetings“, „The Wedding Party“ oder „Hi, Mom!“ von Brian De Palma. De Niro als Nervensäge, De Niro als Mann, der immer weiter bohrt, bis man nicht mehr kann und ihn hasst oder liebt, ihn verabscheut oder vergöttert.
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Einen seiner besten neurotischen Väter gibt De Niro in „Silver Linings“ von David O. Russell. Seine Mischung aus Aberglaube, Kontrollsucht und Besessenheit von der American-Football-Mannschaft Philadelphia Eagles erzeugt das chaotische Bild einer gebrochenen, aber herzenswarmen Seele.
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Er lässt Menschen wirklich nicht in Ruhe, vor allem in den Filmen von Martin Scorseses. Man denke an „New York, New York“, der mit einer halbstündigen Sequenz beginnt, in der er gegen den Willen der Frau versucht, ein Date mit ihr zu bekommen. Oder an „Taxi Driver“ oder noch extremer an „The King of Comedy“ und vielleicht am extremsten in „Kap der Angst“.
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„Greetings“,
eine schwarzhumorige Satire über Männer, die vermeiden, für den Vietnamkrieg
eingezogen zu werden, beginnt mit einem Rollenspiel, doch genau das hat De Niro
eigentlich selten gemacht. Selbst als Verkörperung des Teufels in „Angel Heart“ ist er immer auch ein bisschen De Niro geblieben.
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Was hat es mit der Komödie und De Niro auf sich? Schaut man sich seine Filmografie an, entdeckt man mehr Komödien als Dramen. Trotzdem bleiben vor allem die sogenannten ernsten Rollen im Gedächtnis. Vielleicht war es kein Zufall, dass De Niro eine Rolle in „Joker“ übernahm, einem Film über den verzweifelten Versuch, lustig zu sein, gewissermaßen ein Remake von „The King of Comedy“.
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Seine
gelungenste Komik entfaltet er vielleicht in Quentin Tarantinos „JackieBrown“. Dort spielt er einen zugedröhnten Stoner im Hawaiihemd, schwer
von Begriff und nach Jahren im Gefängnis zu langsam für die Verbrechen, die
begangen werden sollen. Seine Verantwortungslosigkeit widerspricht den
Idealismen, die sonst in seinen Figuren vorherrschen. Gerade deshalb entsteht
ein komisches Bild. Er blickt sich verwundert um in einer Welt, die er nicht
mehr versteht.
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Zur Komödie gehört das Lachen. Bei De Niro ist das eher ein Grinsen. Ein einnehmendes, herzliches Grinsen, bei dem die Augen funkeln und das ganze Gesicht sich zusammenzieht. Aber im selben Grinsen verbirgt sich auch eine Bedrohung. Ein Grinsen, das zu ihm gehört.
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Die anderen wiedererkennbaren Äußerlichkeiten dieses Schauspielers sind sein Leberfleck auf der rechten Wange, seine Grübchen und seine Stirnfalten.
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Außerdem hält er gern den Kopf schief, wenn ihm an etwas gelegen ist. Als er mit Al Pacino in „Heat“ an einem Tisch sitzt, hält er den Kopf fast durchgehend schief.
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Das Undurchschaubare, das sich stets in seinen Gesichtszügen hält, prädestiniert De Niro für Kamerafahrten auf ihn zu. Die berühmteste dieser Fahrten gibt es - begleitet von Creams Sunshine of Your Love - in „Good Fellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“ von Martin Scorsese. Diese mit 36 Bildern pro Sekunde gedrehte Szene auf den hastig an seiner Zigarette ziehenden Jimmy Conway offenbart einen Mann, der in dieser Sekunde, nur mit einem irren Funkeln im Augenwinkel, einen Mord beschließt. Sekunden reichen De Niro, um den ganzen Stumpfsinn, die Panik, die Sensibilität seiner Figur zu zeigen. Weniger hat ein Schauspieler nie gebraucht, um das zu zeigen, was Nicholas Ray einmal meinte, als er behauptete, dass das Kino lehre, dass die Verbrecher die sensibelsten Menschen wären. Er zeigt die Abgründe dieser Figuren, ohne sie zu moralisieren.
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In „Casino“ verliebt er sich in einer solchen Kamerazufahrt. De Niro verliebt sich immer allein. Er muss sich erst allein verlieben, dann kann er Liebe geben (oder Geld wie in diesem Fall). De Niro verliebt sich, und dann handelt er. Nicht andersherum.
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Wenn man einen Oberbegriff finden müsste, der De Niros Rollen zusammenfasst, wäre das die Obsession. Was De Niro macht, macht er obsessiv. Er spielt die Getriebenen und Sich-Vernichtenden, die Ehrgeizigen und Übergenauen. Er spielt die, die sich nicht lösen können von ihren schlechten Ideen.
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Vor
allem spielt er auch die Einsamen. Szenen, in denen er alleine ist, wirken oft
nachhaltiger als die, in denen er in einer Gruppe ist.
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So
kommt es auch, dass seine Figuren stets innere Konflikte austragen. Die wohl
größte Szene dieser Art findet sich gegen Ende von „Heat“, als De
Niro es eigentlich bereits geschafft hat und nun zusammen mit seiner Freundin
für immer fliehen könnte, um das Land als reicher Mann zu verlassen. Auf der
Autofahrt in die scheinbare Freiheit erfährt er jedoch, wo sich ein ehemaliger
Kollege, der ihm übel mitgespielt hat, aufhält. Er fährt in einen Tunnel, und
auf seinem Gesicht spielt sich die ganze Tragödie einer Prinzipientreue ab. Er
ist ganz allein, und er begeht den fatalen Fehler und dreht um. Es ist ihm
wichtiger, mit sich selbst im Reinen zu sein als glücklich mit jemandem
zusammen.
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Vielleicht fallen ihm auch deshalb Beziehungen schwer. In Filmen wie „Taxi Driver“ oder „Der letzte Tycoon“ haben seine Figuren äußerst ungewöhnliche erste Dates. In „Der letzte Tycoon“ verwechselt er die Frau, für die er sich interessiert. Man kann darin, wenn man will, ein verschrobenes Männerbild entdecken. Um ehrlich zu sein, spielt De Niro aber oftmals Sexisten, Vergewaltiger, die Abgründe der angeblichen Männlichkeit.
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Selten zeigen seine Figuren Reue. Sie bleiben oft die gleichen am Ende wie am Anfang eines Filmes. Nur sind sie dann manchmal tot. Eine Ausnahme ist „Mission“. Darin bekehrt sich sein Rodrigo Mendoza nach einem Eifersuchtsmord zum Christentum.
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Stärker ausgeprägt als die Reue ist der Stolz. Kommt seinen Figuren jemand blöd, lassen die das selten auf sich sitzen. Dann schlägt er zu, schießt oder schreit. So schlägt er beispielsweise den Besitzer eines Lebensmittelgeschäfts in „The Irishman“ zusammen, weil dieser seine Tochter geschubst hat. De Niro bewegt sich in diesen Szenen schneller. Er spricht lauter, etwas in ihm lässt ihn nicht los, bis er seiner Wut freien Lauf gelassen hat. Diese Art machoiden Verhaltens zeigt De Niro wie kaum ein Zweiter.
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De Niro spielt Figuren, die nicht im herrschenden System leben wollen oder können. Passend dazu gibt er in Terry Gilliams „Brazil“ einen Guerilla-Instrukteur, der seiner Arbeit nachgehen will, ohne im bürokratischen Apparat hängenzubleiben.
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Oft
hat ihn die Musik von Ennio Morricone begleitet. Beispielsweise in „Mission“,
„1900“ oder „Es war einmal in Amerika“.
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Als De Niro in „Die durch die Hölle gehen“ aus dem Krieg zurückkehrt, in sein Haus und zu seiner Partnerin, steht er etwas verloren in der Tür. Er schaut sich kurz so um, als könnte überall eine Gefahr lauern. Dann fasst er sich, und wenn man kurz unaufmerksam war, hat man seine Unruhe gar nicht bemerkt. Dieser Schauspieler macht körperlich begreifbar, was es heißt, sich nicht mehr wohlzufühlen in einem Zuhause. Er braucht dafür nichts anderes als kleine, sich zwischen die Gewohnheiten drängende Gesten.
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De Niro spielt nervöse Ticks, ohne die Ticks auszustellen. Selten wiederholt er Gesten. Er setzt sie aber so, dass sie einem auffallen. Eine Ausnahme markiert die sich zigfach wiederholende Geste mit den Fingern vor den Augen, die bedeutet, dass er jemanden beobachtet wie in „Meine Braut, ihr Vater und ich“.
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Zweimal führte De Niro selbst Regie. Einmal bei „In den Straßen der Bronx“ und einmal bei „Der gute Hirte“. Gerade in letzterem übersetzt De Niro seine schauspielerischen Maximen einer Undurchschaubarkeit und einer Bescheidenheit im Ausdruck in filmische Sprache. Die Einsamkeit der Hauptfigur, gespielt von Matt Damon, ist hier auch Ausdruck einer Verlorenheit des Einzelnen im staatlichen Machtgefüge, ein Thema, das in De Niros Filmen von „Wag the Dog – Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt“ bis zu „Cop Land“ immer wieder auftaucht.
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Ein besonderer Film im schier endlosen Oeuvre De Niros ist auch „Zeit des Erwachens“ von Penny Marshall. Seine Darstellung von Leonard Lowe, einem an der Europäischen Schlafkrankheit leidenden Mann, zeigt die große Bandbreite des Schauspielers. Sein Spiel widersetzt sich den Klischees des Drehbuchs und beweist auch, dass De Niro im Duett mit anderen Darstellern, hier ist es Robin Williams, glänzt beziehungsweise diese glänzen lassen kann. Das mag etwas abgedroschen klingen, aber ist tatsächlich eine schauspielerische Qualität. Ein weiteres Beispiel für diese Fähigkeit De Niros zeigt sich im Zusammenspiel mit Charles Grodin in „Midnight Run – Fünf Tage bis Mitternacht“.
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Dass De Niro in „Zeit des Erwachens“ aus Rilkes Der Panther zitiert, darf hier nicht unerwähnt bleiben, schließlich wurde ja bereits geschildert, dass er eben jenen Panther spielt in „Wie ein wilder Stier“.
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Ein anderes, lyrisch weniger hochwertiges Gedicht aus Sicht eines Sportfans trägt De Niro zu Beginn von Tony Scotts „The Fan“ vor. Seiner Stimme wohnt eine eigentümliche Ruhe inne. Sie ist sanft, aber autoritär.
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„Zeit des Erwachens“ ist nicht der einzige Film, in dem De Niro einen an einer schweren Krankheit leidenden Mann zeigt. In „Das letzte Spiel“ von John D. Hancock spielt er einen Baseballprofi, der am Hodgkin-Lymphom leidet. De Niros Verlorenheit auf dem Platz berührt und erzählt von den Prioritäten eines gelebten Lebens. In „Makellos" erleidet er einen Schlaganfall und verliert seine Sprache.
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„Menschen zeigen ihre Gefühle nicht. Sie versuchen, sie zu verstecken“, hat De Niro einmal gesagt und damit seinen Zugang zur Darstellung von Menschen erläutert.
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Bei
Martin Scorsese trägt De Niro Kleidung, die man nicht vergisst.
Ein rotes Jackett in „King of Comedy“, den braunen Fedora-Hut in „Hexenkessel“,
eine Jacke in „Taxi Driver“ und keine Hose in „Casino“.
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Macht
es Sinn, sich einem Darsteller zu nähern wie einem „auteur“? De Niros
Rollenwahl in den vergangenen zwanzig Jahren stellt eine solche
Herangehensweise sicherlich in Frage. Filme wie „Man lernt nie aus“,
„Zwei vom alten Schlag“ oder jüngst „Und dann kam Dad“
sind schwer mit seinen Rollen in den 1970er- oder 1980er-Jahren in Verbindung
zu bringen. Nach Szenen oder Augenblicken, die einem etwas über das Schauspiel
dieses Darstellers verraten, sucht man darin oft vergeblich. Vielmehr spult er
ein schwer nachvollziehbares, uninspiriertes Programm ab, parodiert sich
zweitweise selbst.
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Trotzdem lässt sich feststellen, dass der blödelnde, bewegliche De Niro der vergangenen beiden Jahrzehnte etwas vom jungen De Niro behalten hat. Denn gerade in Filmen wie „Hi Mom!“ oder „Hexenkessel“, aber auch in der ersten Stunde von Bertoluccis „1900“ spielt De Niro mit einer zu Scherzen aufgelegten Unbedarftheit, versucht sich am Klamauk und fahndet mit seinen Figuren nach aufregenden Erlebnissen. Der Unterschied liegt in der Qualität der Filmemacher und der Jugend, die er damals nicht mitspielen musste.
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De
Niros interessantere Figuren strahlen vielfach ein imposantes, bedrohliches
Selbstbewusstsein aus. Das gilt etwa für seinen Studioboss in „Der letzte Tycoon“, aber auch für Max Cady in „Kap der Angst“.
Letzterer verlässt das Gefängnis breitbeinig, geht auf die Kamera zu, begleitet
von Donner und Blitz und mit dem Gesichtsausdruck von jemanden, der nichts mehr
spürt.
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Wenn
De Niro schreit, was selten passiert, spürt man den ganzen Schmerz. So boxt er
in „Wie ein wilder Stier“ gegen die Wand und schlägt seinen Kopf dagegen;
in „Die durch die Hölle gehen“ spielt er Russisches Roulette.
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Öfter aber flüstert De Niro fast. Etwa in „Der Pate 2“, bevor er seine Familie in Sizilien rächt. Die anderen schreien, er weiß, dass die Kamera auf ihm bleibt, und bleibt ganz bei sich selbst.
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So lässt sich auch seine eigene Form der Weisheit oder Gelassenheit in „The Score“ von Frank Oz betrachten. In dem Heist-Film trifft De Niro, mal wieder ein Gangster vor dem letzten Coup, auf den heißblütigeren Jungspund Jack, gespielt von Edward Norton. De Niro reagiert mit einer Art Stoizismus auf die ehrgeizigen Ideen seines Kollegen; wie in „Heat“ sehnt sich dieser De Niro nach einem ruhigen Leben, wird aber das unruhige Leben nicht ganz los.
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Einen Profi, der sich mit amateurhaftem Verhalten herumschlagen muss, gibt De Niro auch in „Ronin“ von John Frankenheimer. Passend dazu schluckte seine Gage fast ein Viertel des Gesamtbudgets des Films.
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De Niros Figuren oszillieren zwischen dem inneren Wahnsinn und der äußeren Ruhe. Je sichtbarer sich diese beiden Ebenen durchdringen, desto stärker seine Performances.
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Entscheidendes in diesem Spiel der Blicke zwischen Innen und Außen geschieht, wenn De Niro Brillengläser trägt. Sowohl in „Good Fellas“ als auch in „Der gute Hirte“ oder „American Hustle“ nutzt der Darsteller dieses Utensil zur Unkenntlichmachung; die Brillen werden Sinnbild seines Enigmas, das in diesen Fällen auch an Machtfragen hängt. Unerreichter Gipfel von De Niros Brillenaffinität ist die riesige Sonnenbrille in „Casino“.
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Tobias Wolff, Autor von This Boy’s Life, den Michael Caton-Jones adaptierte („This Boy’s Life“, 1993), sagte, dass nur De Niro den gewalttätigen Vater spielen könne, weil nur De Niro den gleichen verachtenden Blick wie dieser habe.
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De Niro spielt oft sogenannte Anti-Helden. Damit wird ausgedrückt, dass er die dunklen Seiten von uns zeigen kann, jene, die umso deutlicher hervorkommen, desto besser wir es eigentlich meinen. Er spielt die, die den rechten Pfad verlieren, suchen, verlassen und unterwandern.
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In dieser Hinsicht ist es spannend, dass er immer wieder in die Rolle von Priestern und Geistlichen schlüpft. „Sleepers“, „Fesseln der Macht“, „Mission“ oder „Die Brücke von San LuisRey“ sind Beispiele. Im Remake „Wir sind keine Engel“ wird seine Figur mit einem Priester verwechselt.
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Das Spirituelle im Kriminellen ist schon in seiner Rolle in „Taxi Driver“ angelegt. Es hängt auch damit zusammen, dass viele seiner Figuren nicht nur dem Streben nach Reichtum folgen, sondern größeren Idealen. Seine Figuren neigen ins Märtyrerhafte.
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Mit aufgestütztem Ellenbogen, kurzgeschorenen Haaren und einer nach unten neigenden Zigarette betrat De Niro als Statist in Marcel Carnés „Drei Zimmer in Manhattan“ die Filmwelt. Er sitzt an einem Tisch in einer Bar und unterhält sich angeregt. Allerdings hört man nicht, was er sagt, er ist lediglich ein Statist im Hintergrund.
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Einige Berufe der Figuren De Niros: Koch, Bauingenieur, Busfahrer, Casinochef, Priester, Filmproduzent, Filmregisseur, Taxifahrer, Doktor, Installateur, Musiker, Polizist, Baseballspieler.
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Bereits 1971, also fünf Jahre vor „Taxi Driver“, spielte De Niro in „Jennifer on My Mind“ einen ziemlich unkonventionellen Taxifahrer, einen, bei dem man sich wundert, dass er das Auto überhaupt auf der Straße halten kann.
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De Niro vermag Figuren mit fehlender Bildung überzeugend zu spielen. Er führt diese Figuren nie vor, sondern ringt mit ihnen um Würde.
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Eine der polemischsten Szenen De Niros zeigt ihn in „1900“ im Bett mit Stefania Casini und Gérard Depardieu. Die Frau masturbiert die beiden Männer, die Kamera zeigt das verhältnismäßig explizit. De Niro berührt auch Depardieu. Es ist eine sehr verspielte Szene und eine der wenigen Sexszenen im Werk De Niros. Da er ein großer Darsteller der Innerlichkeit geblieben ist, spielt sein Körper, obwohl oder gerade weil er diesen durch den Aufbau von Masse oder Muskeln immer wieder stark veränderte, eine geringere Rolle als bei anderen Schauspielern. Seine Konflikte sind oftmals körperloser, moralischer Natur. Sein Körper verschwindet in seinen Figuren, man kann manchmal gar nicht sagen, ob er schlank oder untersetzt, muskulös oder nicht in einer Rolle war, und doch ist das entscheiden, für die Wirkung seiner Figuren.
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Eine seiner körperlichsten Rollen war am Theater in einem Stück von Shelley Winters, One Night Stands of a Noisy Passenger, in dem er 1968 mit Kimono und in Boxershorts auftrat.
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Wie
entsteht Größe in der Wahrnehmung eines Schauspielers? Weniger als mit der
Anzahl bedeutender Filme hängt dieser Eindruck wohl am Gewicht, das er
einzelnen Rollen verleihen kann. De Niro aber ist keiner dieser Schauspieler,
für den große Monologe geschrieben werden, auch wenn er große Monologe
gesprochen hat. Er bringt diese Elemente eher zurück auf die Straße. Nicht
umsonst schrieb man von seiner Figur des Noodles in „Es war einmal in Amerika“, sie wäre ein Hamlet der Unterwelt, „prächtig und gebückt“,
wie es Serge Daney notierte. Sergio Leone sprach mit De Niro bereits über diese
Rolle, als dieser gerade in „Hexenkessel“ spielte, also noch bevor er berühmt
wurde.
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Ein weiterer Moment, den man nicht vergisst. In „Good Fellas“ erfährt De Niro in einer Telefonzelle vom Tod seines Freundes Tommy DeVito (Joe Pesci). Er schlägt den Hörer gegen die Scheibe, flucht und ringt mit den Tränen. Gleichzeitig aber reißt er sich zusammen, versucht seine Würde zu retten. Er steht da in diesem beengenden Raum wie einer, der alles verloren hat und begreift, dass er nie etwas hatte.
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Manny Farber erkannte in De Niro die Arbeit einer persönlichen Würde, die übliche Schauspielergesten unterdrückte.
61
Seine Figur in „Taxi Driver“ bezeichnete De Niro als indirekt, unentschlossen. Er orientierte seine Bewegungen an denjenigen einer Krabbe, die sich so bewegt, als könne sie jederzeit die Seiten wechseln.
62
De Niros Neigung zur Selbstparodie erfuhr wohl mit „Reine Nervensache“ einen fragwürdigen Höhepunkt. Darin gibt De Niro einen Mafiaboss mit Erektionsproblemen. Übertroffen wird das eigentlich nur in den Werbespots, die De Niro für die britische Marke Warburtons drehte. Darin bringt der Schauspieler sein Mafioso-Gehabe in Verbindung mit Zimtbagels. Die persönliche Würde ist längst verloren.
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Dann
lieber die Verschlossenheit seiner Figur in „The Irishman“, von
der Anke Leweke schrieb, er spiele sie „so als werde seine Figur erdrückt von
dem Männerbild, das sie sich selbst aufgebürdet hat.“
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Paul Schrader über De Niro: „Er lebt nur in den Körpern anderer Menschen.“
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De Niro zeigt wiederholt die Präsenz des Schweigens auf der Leinwand. Er sagt mit seiner Stille mehr als andere mit tausend Worten. Julia Cameron, die Ex-Frau Scorseses, verglich dieses Schweigen De Niros einmal mit einem aufziehenden Gewitter. Eine ähnliche Metapher verwendete auch Michael Mann in seinem Drehbuch zu „Heat“, als er die Figuren De Niros und Pacinos als Inseln in einem Sturm beschrieb.
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Das Gewitter tobt allerdings auch, wenn er redet, beispielsweise in „Casino“. Dort ist jedes vierte Wort ein Fluch. Gemeinsam mit Scorsese entwickelte De Niro eine selbst auf die Voice-Over übergreifende Geschwindigkeit, die eigene Wörter nur so versenkt, um gesprochene Sätze in eine rhythmische Weltsicht zu übersetzen, die sich nichts gefallen lässt, die vor jedes zweite Wort einen Fluch setzen will, damit alles entwertet und auf das gleiche Niveau gebracht wird. Diese Sprache vergisst die Straße nicht, aus der sie kommt, um es euphemistisch auszudrücken.
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Bei aller Zurückhaltung im Spiel hat es De Niro von Zeit zu Zeit auch monströs oder anderweitig krachen lassen. Am deutlichsten wohl in „Die Unbestechlichen“, „Mary Shelley’s Frankenstein“ und „GroßeErwartungen“.
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De Niros Vorbereitung auf seine Rollen ist legendär. So arbeitete er einige Tage als Taxifahrer für „Taxi Driver“, lernte erstaunlich gut Baseball zu spielen für „Das letzte Spiel“ und besuchte mehrfach das Folsom State Prison in Vorbereitung auf „Heat“. In gewisser Weise könnte man also von einem Method Acting sprechen, aber sein Spiel arbeitet auch immer gegen die Ausgestelltheit dieser Vorbereitung, er verarbeitet sie so subtil, dass man, wenn man nicht genau hinsieht, doch immer den gleichen Menschen sieht. Aber achtet man auf seine Bewegungen, sieht man, dass sie sich von Rolle zu Rolle komplett wandeln.
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In einem Interview äußerte De Niro einmal, dass man auch zu viel wissen könne über eine Figur.
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Seine Liebe für kurze, verspielte Auftritte und Nebenrollen begann mit „Angel Heart“. In einer bemerkenswerten Szene schält er darin ein Ei, wie nie zuvor jemand ein Ei geschält hat, und erklärt, dass Eier die Seele symbolisieren, bevor er das halbe Ei in seinen Mund steckt.
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Sean Connery über De Niros Präsenz in „Die Unbestechlichen“: „Man sieht ihn sehr wenig, aber man weiß immer, dass er da ist.“
72
Ein
wenig beschleicht einen aber das Gefühl, dass De Niro das Gegenteil dieser
Präsenz mindestens genauso lieb ist. Damit sind jene Rollen gemeint, in denen
er oft zu sehen ist, man sich aber nicht sicher sein kann, ob er wirklich da
ist. In „Sein Name ist Mad Dog“ beispielsweise verschwindet De
Niro förmlich in der Unscheinbarkeit seiner Rolle.
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Auch Rupert Pupkin, De Niros Rolle in „The King of Comedy“, lebt in einer Welt, in der es ihm am besten ergeht, wenn er das Gefühl hat, nicht da zu sein. Sein ganzes Verhalten trachtet nach dem Verschwinden aus der Wirklichkeit, pompös und extravagant, aber doch ganz und gar in sich selbst verloren.
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Im Herbst startet De Niros jüngste Zusammenarbeit mit Scorsese in den Kinos, „Killers of the Flower Moon“. Darin gibt er einen skrupellosen, profitorientierten Strippenzieher, selbstredend mit Brille. Es ist der zehnte Spielfilm, den die beiden zusammen realisieren.
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Vor einigen Jahren drehte Martin Scorsese einen Kurzfilm, „The Audition“, in dem Robert De Niro und Leonardo DiCaprio, seine beiden Musen, zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera standen, um sich selbst zu spielen, wie sie für einen Film von Scorsese vorsprechen.
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De Niro kann in einer Szene, von einer Sekunde auf die andere, markig und dann unschuldig erscheinen. Sein Gesicht kennt keine definierte Form, man kann es kaum beschreiben. Seine Haut scheint von Film zu Film zu wechseln, selbst seine Augenfarbe erscheint mal dunkler und mal heller. De Niro zeigt, dass das Kino seine Faszination auch immer in dem findet, was sich uns entzieht, was unerreichbar bleibt.
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Oliver Sacks über De Niro: „Es ist, als würde man einen Menschen denken hören, mit dem Körper denken hören.“
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Niemand hat je so schön zugetreten wie De Niro in „Good Fellas“. Die Kamera schaut von unten in seine stolpernden, aggressiven Bewegungen, als er einen leblosen Körper tritt und damit offenlegt, wie haltlos dieser mit Anzügen und teuren Schuhen erkaufte Eindruck eines wohlgesitteten Lebens doch ist. Das ist kein Treten eines „starken Mannes“, es ist das panische Herumfuchteln eines Mannes, der nicht weiß, wie er sonst leben soll. De Niros Figuren sind oft ohne Ausweg, die Gefängnisse sind in ihnen selbst.
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In einer seiner berühmtesten Szenen fragt De Niro in „Taxi Driver“ sein Spiegelbild, ob es mit ihm spricht, ob er gemeint ist, wenn sein Blick aus dem Spiegel auf ihn zurückfällt. Diese Frage lässt sich auf das gesamte Werk dieses Schauspielers übertragen. Er ist nie ganz er selbst und auch nie ein anderer. Er bleibt De Niro, gerade weil es kein eindeutiges Bild von De Niro gibt. Damit definiert er als einer der letzten Darsteller Hollywoods dieser Größenordnung den Unterschied zwischen einem Schauspieler und einem Star. Das kann er auch nicht auslöschen, wenn er noch hundert weitere unerträgliche Filme dreht.
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Im Drehbuch zu „Taxi Driver“ schrieb Paul Schrader für diese Szene lediglich: „In seinen Augen glasige Selbstbeobachtung, er sieht nur sich selbst.“ In seiner eigenen, inzwischen öffentlich einsehbaren Kopie des Drehbuchs schrieb De Niro in blauer Farbe unter diese Szene: „Hier die Sache mit dem Spiegel?“