Dorthin gehen, wo es weh tut. Das kann der Theater-
und Filmemacher Milo Rau wie kaum ein Zweiter. In „Das Neue Evangelium“ (ab 17.
Dezember im Streaming) orientiert er sich an der Passion Christi, transferiert
die biblische Handlung aber ins heutige Süditalien und verfilmt sie als Revolte
afrikanischer Migranten, die auf den Tomatenfeldern wie Sklaven schuften.
Christliche Historie und die sogenannte „Revolte der Würde“ verbinden sich miteinander
zu einer aufrührerischen Symbiose.
Es hört sich ziemlich gewagt an, im Jahr
2020 einen Film über Jesus mit dem Titel „Das Neue Evangelium“ zu
veröffentlichen. Wie kamen Sie darauf?
Milo Rau: Ich
erhielt aus der italienischen Stadt Matera, die im Jahr 2019 zusammen mit
Plowdiw in Bulgarien europäische Kulturhauptstadt war, eine Anfrage, ob ich ein
Projekt zu diesem Anlass realisieren wollte. In Matera hat Pier Paolo Pasolini
1964 „Das 1. Evangelium - Matthäus“ gedreht und Mel Gibson 40 Jahre später „Die Passion Christi“. Ich überlegte
nur zehn Minuten und schlug spontan vor, einen Jesusfilm zu drehen. Dazu kamen
meine marxistische Sichtweise der Bibel und die Argumente von Papst Franziskus,
der auf Lampedusa 2013