Die 100 besten Filme von Frauen

Eine Umfrage von BBC Culture unter 368 Filmexperten aus 84 Ländern über die 100 besten Filme, die von Frauen inszeniert wurden

Veröffentlicht am
17. Dezember 2020
Diskussion

Eine Umfrage der BBC unter 368 Filmexperten aller Geschlechter hat die besten 100 Filme, die von Frauen inszeniert wurden, eruiert. An der Spitze steht unangefochten „Das Piano“ von Jane Campion; die französische Filmemacherin Agnès Varda ist mit insgesamt sechs Werken vertreten; es konnten sich aber auch Maren Ade und Margarethe von Trotta platzieren – und kurioserweise auch Leni Riefenstahl.


Schon lange vor dem Internetzeitalter standen Listen, Übersichten und „Best of“-Zusammenstellungen bei Filmkritikern hoch im Kurs. Angesichts der puren Anzahl an Filmen, die man im Laufe eine Kritikerlebens sieht, bot sich eine wertend-selektierende Aufstellung fast von selbst als Möglichkeit ab, der enormen Fülle Herr zu werden und die Seherfahrungen in einschlägigen Jahresbestenlisten zu summieren oder in anderen „Best of“-, All-Time- oder anderen Breviers zu notieren.


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Die Digitalisierung hat diese Lust an der Übersicht paradoxerweise noch vervielfältigt, weil in der Unendlichkeit der Datenflut verlässliche Wegmarken zumindest ansatzweise eine Orientierung bieten. Bei der Kulturabteilung der BBC hat man sich schon vor ein paar Jahren auf die neue Lust an den „Listicles“ kapriziert und aufwändige Umfragen auf den Weg gebracht, die beispielsweise nach den „100 besten US-amerikanischen Filmen“ (2015), den „100 besten Filmen des 21. Jahrhunderts“ (2016), den „100 besten Komödien aller Zeiten“ (2017) oder den „100 besten nicht-englischsprachigen Filmen (2018) fahndeten.

Ein blinder Fleck

Auf der Suche nach einem Stichwort für die diesjährige Umfrage stach den Redakteuren der Umstand ins Auge, dass in den bisherigen BBC-Filmstatistiken der Anteil von Regisseurinnen erschreckend gering ausfällt; selbst in der 2018er-Umfrage nach den besten nicht-englischsprachigen Filmen stammten nur vier von 100 Filmen von Frauen; bei der 2015er-Liste ("US-amerikanische Filme“) waren sogar nur zwei Filmemacherinnen vertreten; immerhin platzierten sich bei der Suche nach den besten Filmen des 21. Jahrhunderts wenigstens zwölf Regisseurinnen unter den ersten 100.

Verneigung an eine der ersten Stummfilm-Regisseurinnen: "Shoes" (1916) von Lois Weber
Verneigung vor einer der ersten Stummfilm-Regisseurinnen: "Shoes" (1916) von Lois Weber

Das führte relativ zwingend dazu, 2019 den Fokus ausschließlich auf Filmemacherinnen zu richten, wobei insgesamt 368 Experten aus allen Geschlechtern – Kritiker, Journalisten, Festivalverantwortliche und Filmwissenschaftler – aus 84 Ländern von Afghanistan bis Simbabwe um ihr Votum gebeten wurden. Jeder Teilnehmende listete seine 10 Favoriten auf, die von Frauen inszeniert worden waren; aus Deutschland wurden Andreas Borcholte (Spiegel), Andreas Kilb (FAZ), Susanne Burg (Deutschlandfunk), Thomas Elaesser, Anke Leweke (Deutschlandfunk), Verena Lueken (FAZ), Hannah Pilarczyk (Spiegel) und Susan Vahabzadeh (SZ) um ihre Voten gebeten.

Beeindruckende Sammlung von Filmen

Das Ergebnis ist eine beeindruckende Sammlung von Filmen, die die Kreativität und Vielfalt des Kinos von Frauen auf der ganzen Welt demonstrieren, angefangen von Lois Webers Stummfilm "Shoes" (1916) bis hin zu „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ (2019) von Céline Sciamma. Nicht verwunderlich ist, dass die meisten Filme in der Liste erst seit den 1990er-Jahren entstanden und meist aus den reichen westlichen Ländern stammen; allerdings sind auch Filme aus Argentinien, dem Iran, der Ukraine, Saudi-Arabien, Indien, Tunesien und der Tschechischen Republik unter den Top 100 vertreten.

An der Spitze der beliebtesten Regisseurinnen steht dabei mit stolzen sechs Filmen Agnès Varda, gefolgt von Kathryn Bigelow, Claire Denis, Lynne Ramsay und Sofia Coppola. Und auf Platz eins thront unangefochten „Das Piano“ von Jane Campion; fast zehn Prozent aller Kritikerinnen und Kritiker hatten das Seelendrama ganz nach oben gesetzt; kurioserweise taucht auch Leni Riefenstahl zwei Mal auf, nicht nur mit „Olympia“, sondern auch mit dem tiefbraunen NS-Propagandafilm „Triumph des Willens“; mit Maren Ade („Toni Erdmann“), Margarethe von Trotta („Die bleierne Zeit“) und Lotte Reiniger ("Die Abenteuer des Prinzen Achmed“) finden sich weitere deutsche Filmemacherinnen in der Aufstellung. Insgesamt wurden 761 verschiedene Filme nominiert; alle Einzelvoten der Teilnehmenden sind ebenfalls auf den BBC-Webseiten einsehbar (A-K und L-Z).

Szenen aus dem ersten erhaltenen Trickfilm von Lotto Reiniger: "Die Abenteuer des Prinzen Achmed"
Szenen aus dem ersten erhaltenen Trickfilm von Lotto Reiniger: "Die Abenteuer des Prinzen Achmed"

Directed by women

Wie bei allen Listen dieser Art sollte man die Zusammenstellung und Gewichtung aber nicht überbewerten, sondern eher als Anreiz verstehen, das Thema individuell zu variieren und fortzuschreiben. Als Votum einer nicht repräsentativen Gruppe fordert die Umfrage nach den „The 100 greatest films directed by women“ geradezu heraus, die eigenen Wahrnehmungen und Reflexionen beizusteuern.


1. Das Piano (Jane Campion, 1993)

2. Mittwoch zwischen 5 und 7 (Agnès Varda, 1962)

3. Jeanne Dielman (Chantal Akerman, 1975)

4. Beau Travail (Claire Denis, 1999)

5. Lost in Translation (Sofia Coppola, 2003)

6. Daisies (Věra Chytilová, 1966)

7. Tödliches Kommando (Kathryn Bigelow, 2008)

8. Toni Erdmann (Maren Ade, 2016)

9. Fish Tank (Andrea Arnold, 2009)

10. Daughters of the Dust (Julie Dash, 1991)

11. The Ascent (Larisa Shepitko, 1977)

12. Zero Dark Thirty (Kathryn Bigelow, 2012)

13. Vogelfrei (Agnès Varda, 1985)

Auf der Suche nach sich selbst: Sandrine Bonnaire in "Vogelfrei" von Agnès Varda
Auf der Suche nach sich selbst: Sandrine Bonnaire in "Vogelfrei" von Agnès Varda

14. Gefährliche Brandung (Kathryn Bigelow, 1991)

15. La Ciénaga - Morast (Lucrecia Martel, 2001)

16. Wanda (Barbara Loden, 1970)

17. Sieben Schönheiten (Lina Wertmüller, 1975)

18. American Psycho (Mary Harron, 2000)

19. Orlando (Sally Potter, 1992)

20. Clueless (Amy Heckerling, 1995)

21. Winter’s Bone (Debra Granik, 2010)

22. We Need to Talk About Kevin (Lynne Ramsay, 2011)

23. The Hitch-Hiker (Ida Lupino, 1953)

24. Lady Bird (Greta Gerwig, 2017)

25. The House is Black (Forugh Farrokhzad, 1963)

26. Stories we Tell (Sarah Polley, 2012)

27. Selma (Ava DuVernay, 2014)

28. Le Bonheur (Agnès Varda, 1965)

29. Monsoon Wedding (Mira Nair, 2001)

30. Zama (Lucrecia Martel, 2017)

Reise in die Tiefe der Zeit: "Zama" von Lucrecia Martel
Reise in die Tiefe der Zeit: "Zama" von Lucrecia Martel

31. Die Sammler und die Sammlerin (Agnès Varda, 2000)

32. Der Nachtportier (Liliana Cavani, 1974)

33. You Were Never Really Here (Lynne Ramsay, 2017)

34. Morvern Callar (Lynne Ramsay, 2002)

35. The Matrix (Lana and Lilly Wachowski, 1999)

36. Wendy and Lucy (Kelly Reichardt, 2008)

37. Olympia (Leni Riefenstahl, 1938)

38. Paris is Burning (Jennie Livingston, 1990)

39. Porträt einer jungen Frau in Flammen (Céline Sciamma, 2019)

40. Boys Don’t Cry (Kimberly Peirce, 1999)

41. Capernaum (Nadine Labaki, 2018)

42. Die Abenteuer des Prinzen Achmed (Lotte Reiniger, 1926)

43. The Virgin Suicides (Sofia Coppola, 1999)

44. American Honey (Andrea Arnold, 2016)

45. Triumph des Willens(Leni Riefenstahl, 1935)

46. Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis(Kathryn Bigelow, 1987)

47. Ein Engel an meiner Tafel(Jane Campion, 1990)

48. Das asthenische Syndrom (Kira Muratova, 1989)

49. Salaam Bombay! (Mira Nair, 1988)

50. Outrage (Ida Lupino, 1950)

51. Harlan County, USA (Barbara Kopple, 1976)

52. Glücklich wie Lazzaro (Alice Rohrwacher, 2018)

Poetische Ode: "Glücklich wie Lazarro" von Alice Rohrwacher
Poetische Ode: "Glücklich wie Lazarro" von Alice Rohrwacher

53. Die Frau ohne Kopf (Lucrecia Martel, 2008)

54. Bright Star (Jane Campion, 2009)

55. Monster (Patty Jenkins, 2003)

56. 13th (Ava DuVernay, 2016)

57. Der Babadook (Jennifer Kent, 2014)

58. Susan verzweifelt gesucht (Susan Seidelman, 1985)

59. Lange Abschiede (Kira Muratova, 1971)

60. Eine Klasse für sich (Penny Marshall, 1992)

61. India Song (Marguerite Duras, 1975)

62. Strange Days (Kathryn Bigelow, 1995)

63. Marie Antoinette (Sofia Coppola, 2006)

64. The Rider (Chloe Zhao, 2017)

65. Leave no Trace (Debra Granik, 2018)

66. Ratcatcher (Lynne Ramsay, 1999)

67. Die bleierne Zeit (Margarethe von Trotta, 1981)

Begegnung über Grenzen hinweg: "Die bleierne Zeit"
Begegnung über Grenzen hinweg: "Die bleierne Zeit"

68. Eve’s Bayou (Kasi Lemmons, 1997)

69. The Connection (Shirley Clarke, 1961)

70. Whale Rider (Niki Caro, 2002)

71. La Coquille et le Clergyman (Germaine Dulac, 1928)

72. Europa Europa (Agnieszka Holland, 1980)

73. Körper und Seele (Ildikó Enyedi, 2017)

74. Chocolat (Claire Denis, 1988)

75. Meek’s Cutoff (Kelly Reichardt, 2010)

76. Bande defilles (Céline Sciamma, 2014)

77. Tomboy (Céline Sciamma, 2011)

78. Der Apfel (Samira Makhmalbaf, 1998)

79. Shoes (Lois Weber, 1916)

80. Big (Penny Marshall, 1988)

81. A Girl Walks Home Alone at Night (Ana Lily Amirpour, 2014)

82. At Land (Maya Deren, 1944)

83. Schlaflos in Seattle (Nora Ephron, 1993)

84. Jasons Porträt (Shirley Clarke, 1967)

85. Die eine singt, die andere nicht (Agnès Varda, 1977)

86. Wadjda (Haifaa Al-Mansour, 2012)

87. 35 Rum (Claire Denis, 2008)

88. Palast des Schweigens (Moufida Tlatli, 1994)

89. Die Strände von Agnès (Agnès Varda, 2008)

90. Ich glaub‘ ich steh‘ im Wald (Amy Heckerling, 1982)

91. White Material (Claire Denis, 2009)

92. Raw (Julia Ducournau, 2016)

93. Red Road (Andrea Arnold, 2006)

"Red Road" von Andrea Arnold
"Red Road" von Andrea Arnold

94. News From Home (Chantal Akerman, 1977)

95. Ritual in Transfigured Time (Maya Deren, 1946)

96. Rendezvous d‘Anna (Chantal Akerman, 1977)

97. Adoption (Márta Mészáros, 1975)

98. Somewhere (Sofia Coppola, 2010)

99. The Souvenir (Joanna Hogg, 2019)

100. The Kids are All Right (Lisa Cholodenko, 2010)


Fotos (oben): "Das Piano" © Pandora; andere Fotos: arte, absolut Medien, Concorde, Grandfilm, Piffl Medien, Filmverlag der Autoren, Fugu

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