Im Kino gibt es eine lange Tradition der Begegnungen unheimlichster Art mit Wesen aus dem All. Die kommunikativen Stolpersteine dieser Kontaktaufnahme werden dabei eher selten thematisiert, etwa in „Der Mann, der vom Himmel fiel“, in Spielbergs „E.T.“ oder in der „Star Trek“-Reihe. Die Aliens sind entweder böse oder überlegen, der Erde droht mitsamt ihren Bewohnern der Untergang, und um die Apokalypse zu verhindern, ist jedes (cineastisch effektvoll darstellbare) Mittel recht: Von der x-ten Zerstörung New Yorks bis zu ausufernden Materialschlachten elektronischer Provenienz. Eine Kommunikation mit den Fremden ist scheinbar weder vorgesehen noch möglich.
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„Arrival“ von Denis Villeneuve setzt da ganz andere, letztlich theologische Akzente. Schon im Titel schwingen positive Assoziationen mit, die von der Ankunft eines neuen Erdenbürgers bis zum Sehnsuchtslicht in den zahlreichen „Ankunftsbildern“ des französische Malers Claude Lorrain reichen. Zwölf gigantischemuschelförmige Raumschiffe tauchen an unterschiedlichen Orten rund um den Globus auf. Ohne die von Villeneuve nur dezent ins Spiel gebrachte Zahlensymbolik überzubewerten, weist die „12“ auf das religiös konnotierte thematische Zentrum des Films hin: Die wünschenswerte Einheit aller Nationen. Es geht nicht mehr nur um die zwölf Stämme Israels, sondern um die Vision eines friedvollen „Neuen Jerusalems“, dessen zwölf Tore allen Völkern offen stehen. Noch ist diese Einheit bedroht durch die menschliche Hybris, für die der Turm zu Babel steht. Gott verhindert seine Fertigstellung durch eine allgemeine Sprachverwirrung, die die Kommunikation erschwert oder sogar vollständig unmöglich macht.
Zunächst weiß niemand, ob das Auftauchen der Raumschiffe eine Bedrohung darstellt und ob ihre globale Präsenz einer bestimmten Logik folgt. Sie hängen gigantisch und bewegungslos über der Erde und scheinen jede Deutung zuzulassen. Dennoch bricht Panik aus; verschiedene Länder setzen das Militär in Alarmbereitschaft. Der internationale Austausch zwischen den „Ankunftsländern“ der Raumschiffe und damit der Versuch, das Fremde zu verstehen, bevor man es angreift, scheint von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Doch die US-Army hat die Sprachwissenschaftlerin Louise Banks (Amy Adams) und den Physiker Ian Donnelly (Jeremy Renner) engagiert, um mit den Aliens Kontakt aufzunehmen. Diese erweisen sich tatsächlich als äußerst fremdartig, wenn man sie endlich zu Gesicht bekommt: riesige krakenartige Wesen, Siebenfüßler (eine weitere symbolisch besetzte Zahl), die sich in kreisförmigen Symbolen ausdrücken.
Eine faszinierende Kontaktaufnahme
Faszinierend in Szene gesetzt und keine Sekunde langweilig, nehmen die unterschiedlichen Kontaktversuche der beiden Wissenschaftlicher den Großteil des Films ein. Nur allmählich gelingt es Louise und Ian, mit zwei der Wesen, die sie spaßeshalber Abbott und Costello getauft haben, Kontakt aufzunehmen und den Sinn ihrer Zeichen immer besser zu verstehen, um mit ihnen zu kommunizieren. Und das gerade noch rechtzeitig, um den sich abzeichnenden Schlagabtausch mit den Wesen abzuwenden. Denn China hat die Geduld verloren; Oberbefehlshaber General Shang will endlich klare Verhältnisse schaffen.
Als es Louise unter dramatischen Umständen gelingt, Shang mitten in der Mobilmachung anzurufen und in seiner Muttersprache Chinesisch auf ihn einzureden, lässt er sich umstimmen. Die Konfrontation findet nicht statt, im Gegenteil. Die Nationen verständigen sich miteinander und greifen das Anliegen der Außerirdischen auf. Die Heptapoden, so stellt sich heraus, brauchen in der Zukunft Hilfe, die sie nur von den Menschen bekommen können. Ihr Auftreten führt nicht nur zur Aufhebung der Sprachgrenzen, sondern zur Umkehr: Nicht menschliche Dominanz ist das Ziel, sondern die Einheit in einer Gemeinschaft der Verschiedenen.
Denis Villeneuve setzt in „Arrival“ vorwiegend auf einen nonverbalen Modus, um sich mit dem Publikum subtil zu verständigen. Wo der Film mit pseudowissenschaftlichem Gerede alles zutexten könnte, zeigt Villeneuve stattdessen, was er meint, und setzt damit auch einen Kommunikationsprozess mit dem Publikum in Gang, der dem zwischen Louise, Ian und den Heptapoden ähnlich ist. Wir verstehen ganzheitlich etwas, was wir bis dahin allenfalls intellektuell gewusst haben. Die Sprachverwirrung verschwindet mit dem gemeinsamen Ziel, das Kommunikation und nicht länger Konfrontation heißt. Für die Heptapoden, die den Menschen kommunikativ weit überlegen sind, war klar, dass ihnen in der Zukunft nur eine befriedete und geeinte Menschheit von Nutzen sein wird. Ihre Ankunft entpuppt sich als groß angelegtes (Lern-)Experiment, mit dessen Hilfe die Nationen ihre Einheit verwirklichen sollen, um den Außerirdischen dann ebenbürtig gegenübertreten zu können. Sie arbeiten an einer Fertigstellung des Turms zu Babel, die nicht länger göttlichen Zorn hervorrufen dürfte.
Was schiefgehen müsste, gelingt
Eigentlich hätte das schiefgehen
müssen. Aber es geht nicht schief, was Louise Banks und ihrer friedfertigen
Hartnäckigkeit wie auch der besonderen Beziehung zu verdanken ist, die die
Heptapoden im Lauf ihrer Kommunikationsbemühungen zu ihr entwickeln. Als alles
verloren scheint, weil die von Scharfmachern aufgestachelten Soldaten im
Raumschiff einen Sprengsatz zünden, bei dem Abbott ums Leben kommt, startet
Louise einen letzten verzweifelten Versuch. In einer traumhaft-mystischen
Sequenz begegnet sie im Raumschiff noch einmal Costello, der ihr den Blick
öffnet. Die „Waffe“, die die Heptapoden der Menschheit mitgebracht haben, sei
ihre Sprache, die die Menschen vom linearen Denken in der Zeit befreit. Die irritierenden
Rückblenden, die immer wieder aufgeblitzt waren, vermeintliche Erinnerungen von
Louise, erweisen sich vom Ende des Films her als Ausblicke auf die Zukunft. Diese
Fähigkeit, aus der Zeit herauszutreten und die Geschichte auf ihr Ziel
auszurichten, gibt den Heptapoden eine eschatologische Dimension. Sie stehen
für das, was einmal werden soll, aber nur werden kann, wenn die Gegenwart die
richtigen Entscheidungen trifft.
Das gilt auch auf einer individuellen Ebene. Louise wird mit Ian eine Tochter haben, die Frucht einer Beziehung, deren Beginn am Ende des Films steht und deren Ende ständig miterzählt wird. Denn Ian wird Louise nicht verzeihen können, dass sie das Kind bekam, obwohl sie wusste, dass Hannah wegen einer unheilbaren Erkrankung nicht alt werden würde. Ebenso erschließt sich von der Zukunft her, was General Shang dazu brachte, den Rückzug seiner Truppen zu befehlen. Während Louise mit ihm telefonierte, erinnerte sie ihn daran, was ihm seine Frau auf dem Sterbebett gesagt hatte. Wissen konnte Louise das nur, weil Chang es ihr in der Zukunft selbst erzählt hatte: „Kriege bringen keine Sieger hervor, nur Witwen.“ In jener Zukunft, in der alle Nationen bei einem großen Kongress zusammenfinden, in der Louises Buch über die Sprache der Heptapoden erscheinen wird und in der die Raumschiffe die Erde verlassen haben, um in 3000 Jahren wiederzukehren und dann eine verwandelte Menschheit vorzufinden. Die Entscheidung von Louise für das Kind steht wie die letzte Äußerung von Changs Frau dafür, worauf es wirklich ankommt.
Ein Plot mit emotionalen und ethischen Dimensionen
Ein Film voller Botschaften. Man könnte „Arrival“ für naiv und pathetisch halten, würde er sich nicht ganz auf seine Bilder, Zeichen und Gesten verlassen können. Solche Filme sind selten. „Arrival“ verbindet persönliche Schicksale, philosophische Reflexionen über Zeit und Vergänglichkeit, sprachtheoretische Erkenntnisse und eine indirekte Kritik an gegenwärtigen politischen Gegebenheiten zu einer überwältigenden Einheit. Der Plot, die suggestive Musik und die grandiosen visuellen Eindrücke entfalten eine Wirkung, die emotionale wie ethische Dimensionen besitzt. Gleichzeitig betreibt der Film eine subtile Säkularisierung großer Motive aus der religiösen Tradition, vom Turm zu Babel bis zur Utopie von der friedvollen und konfliktfreien Gemeinschaft aller. Villeneuves Fortsetzung von „Blade Runner“, „Blade Runner 2049“, das sei am Ende angemerkt, fällt gegenüber „Arrival“ deutlich ab. Nicht ästhetisch, aber inhaltlich. Die Rechte von Replikanten und deren Menschwerdung sind bei aller Aufregung um „Künstliche Intelligenz“ vorerst nicht unser größtes Problem. Wie wir uns mit „Fremden“ jeder Art einig werden können, schon eher.
Fotos: Sony