Die Wege des Herrn sind bekanntlich unergründlich. Die gleichnamige dänische Serie lotet Gottes Pfade und die menschliche Suche nach dem Sinn des Daseins am Beispiel einer protestantischen Pfarrersfamilie aus.
Streng gemahnen die Ahnen aus ihren Porträts über dem Treppenaufgang des Pfarrhauses an die Tradition. Die Familie Krogh hat sich bereits in neunter Generation der Seelsorge in der dänischen Volkskirche verschrieben; auch der charismatische Johannes Krogh (Lars Mikkelsen) ist evangelisch-lutherischer Propst und sitzt mehreren Kirchengemeinden vor. Zu Beginn der Serie ist er mitten in einer erfolgsversprechenden Bewerbung fürs Kopenhagener Bischofsamt, doch der temperamentvolle, in Glaubensdingen konservative Johannes verabscheut das Leisetreterische, allzu Tolerante, den neoliberalen Zeitgeist – seine undiplomatischen Aussagen zum Islam vereiteln denn auch im letzten Moment den beruflichen Aufstieg. Für Johannes Grund genug, heftig (und voller Selbstmitleid) mit Gott und Glauben zu hadern und sich seiner dunklen Seite hinzugeben: Der notorisch untreue Quartalssäufer taucht ab, um sich dem Rausch und dem Vergessen hinzugeben. Seine Frau Elisabeth (Ann Eleonora Jørgensen), eine Gymnasiallehrerin, hat sich daran gewöhnt, dass sie Johannes mit seinen Dämonen, aber auch mit anderen Frauen teilen muss.
Ihre Abgründe haben auch die Söhne der beiden: Christian (Simon Sears), der ältere, ist das „schwarze Schaf“ der Familie: Der haltlose junge Mann ist drauf und dran, nach dem abgebrochenen Theologie-Studium auch die Business-School nicht nur ohne Abschluss, sondern auch noch mit Plagiatsvorwürfen zu verlassen. Dazu bändelt er ausgerechnet mit der Partnerin seines besten Freundes Mark an. Dem jüngeren Sohn August (Morten Hee Andersen) hingegen scheint alles zu gelingen. Er ist in die großen Fußstapfen des Vaters getreten und ein beliebter und erfolgreicher Pfarrer. Auch privat läuft es für ihn gut – mit seiner Frau Emilie (Fanny Louise Bernth), einer jungen Ärztin, möchte er eine Familie gründen. Doch August sucht die Herausforderung und nimmt eine Stelle als Militärpfarrer an, die ihn in ein Kriegsgebiet im Mittleren Osten führt. Er kehrt traumatisiert zurück – mit einem schrecklichen Geheimnis, das ihn zu zerbrechen droht.
Das Sujet bietet viel Raum für biblische Bezüge
Die Bibel kennt natürlich unzählige Beispiele für Vater-Sohn-Beziehungen, aber auch für das Verhältnis zwischen Brüdern. Insofern ist das Sujet von „Die Wege des Herrn“ gut gewählt, bietet es doch einen so reichen wie vielschichtigen Schatz an Bezügen: Die Serie gemahnt einerseits an Kain und Abel, die Erzählung vom „guten“ und dem „missratenen“ Sohn – wobei die Zuschreibungen hier schon bald nicht mehr so eindeutig sind. Sie erinnert aber auch an die Geschichte von Abraham, der bereit ist, Gott seinen eigenen Sohn Isaak zu opfern. Auch der dominante Johannes tut alles dafür, dass die Jahrhunderte währende Pfarrerstradition in der Familie Krogh bestehen bleibt, ob dies seinen Söhnen nun zum Glück gereicht oder nicht. Und das Gleichnis vom verlorenen Sohn lässt ebenfalls grüßen: Ganz anders als in der biblischen Vorlage jedoch empfängt Johannes Christian nicht mit offenen Armen, sondern schickt ihn fort. „Ich bin irgendwie mehr für Konsequenz“, sagt er dazu lapidar.
Entwickelt wurde „Die Wege des Herrn“ von Adam Price, der für die Serie „Borgen“ über eine dänische Politikerin bereits mit Lob und Preisen überschüttet wurde. Nun also widmet sich Price nach dieser eher frauenbewegten Geschichte dem Patriarchat – dem privaten wie dem institutionalisierten der Religionen –, und statt politischen Fragen dem Thema der Spiritualität. Dabei benutzt er das Setting eines Pfarrerhaushalts auch als Vehikel, um darüber das packende, aus einem intimen Blickwinkel beobachtete Drama einer Familie zu erzählen. Doch mindestens ebenso wichtig sind die Gebete, religiösen Rituale und spirituellen Fragestellungen, die vom bekennenden Atheisten Price sehr ernst genommen werden. Das äußert sich vor allem in den ebenso präzise wie klug geschriebenen Dialogen, die stetig, aber subtil darum kreisen, welche Macht der Glaube im Leben des Einzelnen hat. Wobei dies der Glaube an Gott, Buddha oder Reinkarnation sein kann, aber eben auch der an Freundschaft, Ehe oder Loyalität.
Dazu schaffen Headautor Adam Price und seine Kollegen Karina Dam und Poul Berg bis in die kleinsten Nebenfiguren hinein lebensechte, sorgfältig gezeichnete Charaktere. Und auch optisch ist die vom öffentlich-rechtlichen Dänischen Rundfunk in Auftrag gegebene Serie von höchster Qualität. Die ruhig kadrierten, schön klaren und „aufgeräumten“ Bilder lassen dem spirituellen Sujet wie den dramatischen familiären Entwicklungen viel Raum zum Atmen und Platz für Atmosphäre.
Im Zentrum: Ein komplexer Charakter zwischen tiefem Glauben und erschüttertem Gotteszweifel
Doch wäre all dies nichts ohne die starke Leistung der Schauspieler, die durchweg überzeugen. In seiner Präsenz ähnlich dominant wie der von ihm gespielte Charakter in der Serie ist hier Lars Mikkelsen: Er gibt Johannes, diesem komplexen Charakter zwischen großem Charisma und abgründiger Haltlosigkeit, zwischen tiefem Glauben und erschüttertem Gotteszweifel mit seinem brennenden, durchdringenden Blick ein in jeder Sekunde prägnantes Gesicht. Mikkelsen gelingt die schwierige Aufgabe, die Zuschauer an sich zu binden, mit Johannes zu lieben und zu leiden, so sehr sein Verhalten teils auch abstoßen mag, fulminant. Dieser Priester handelt ziemlich oft nicht so, wie man es als „christlich“ verstehen würde; er ist egozentrisch, aufbrausend, unversöhnlich. Andererseits aber ist er fürsorglich, kämpft für seine Untergebenen und vermag Trost und Glaubensstärke zu vermitteln. Man sieht seine großen Fehler – und ist doch fest davon überzeugt, dass er ein guter Seelsorger ist: Im Grunde nicht so sehr trotz, sondern gerade aufgrund seiner Abgründe, die ihn so menschlich machen.
Fotos: arte/Tine Harden